„DIE GROSSE BERLINER UMFAHRT“
Mit einer Gesamtstrecke von 400 km ist die „Große Berliner Umfahrt“ ein anspruchsvoller Rundtörn um die deutsche Hauptstadt, für den man sich möglichst 14 Tage Zeit lassen sollte. Doch wie fährt es sich auf der Oder, wie viele Schleusen sind zu passieren, und wo lohnt es sich, auszusteigen?
Zugegeben, auch für mich war die „Große Berliner Umfahrt“, auch „Berlin-Oder-Umfahrt“ genannt, bis vor Kurzem noch unbekanntes Terrain. Zwar lebe ich an der Havel, kenne viele Wassersportregionen in Ostdeutschland und auch die Oder ist mir ein Begriff. Doch noch nie hatte ich mich damit beschäftigt, wie man Berlin per Boot auf dem Wasser umrunden kann. Das Angebot zur Umfahrt kam aus heiterem Himmel, aber nicht ganz ohne Grund. Schon seit einer Weile sind Städte und Tourismusverbände Brandenburgs bemüht, Touristen und Gäste in die östlichste Region Deutschlands zu locken, die nicht nur mit landschaftlichen Reizen überrascht. Historische Bauwerke, Barockanlagen, die sozialistische Planstadt Eisenhüttenstadt, deutsch-polnische Grenzgeschichten und eine von Traditionen geprägte kulturelle Vielfalt machen den Osten Deutschlands interessant. Dabei lassen sich ganze Landstriche und Städte bequem vom Wasser aus erkunden, denn Brandenburg gehört zu den wasserreichsten Gegenden im Bundesgebiet. Wer will, der kann auf den Flüssen Dahme, Spree, Havel und Oder Berlin umrunden und dabei einzigartige Naturlandschaften bestaunen. Freizeitkapitäne finden dafür ein breites Angebot an Charteryachten oder gehen mit dem eigenen Boot auf Tour. Der motorisierte Wassersport der Oderregion ist längst aus dem Dornröschenschlaf erwacht, doch noch wagen sich nur wenige Skipper in Richtung Osten. Wir wollten wissen, was die Region zu bieten hat und was man beim Befahren des Grenzflusses Oder beachten muss.
Bevor ich mit meinen beiden Freunden Heinz und Detlef im Mai die „Große Berliner Umfahrt“ ins Visier nahm, stand zunächst eine generalstabsmäßige Törnplanung an. Mit der Bereitstellung des luxuriösen Charterschiffes „Anna Karenina“, einer 12,10 m langen Jetten 40 Sedan von der Berliner Firma Anna Blume Bootcharter war zunächst für das perfekte Boot gesorgt. Im zweiten Schritt mussten der Zeitplan eingeschätzt und die Törnetappen festgelegt werden. Da es sich quasi um eine „Dienstreise“ handelte, veranschlagte ich nur fünf Tage. Bei der Planung half mir Oder-Kenner Michael Reh aus Eisenhüttenstadt. Von besonderer Bedeutung war der Zeitpunkt der Abfahrt, weil bei 1,20 m Tiefgang der Jetten 40 unbedingt die Fahrwassertiefen der Oder berücksichtigt werden müssen. Niedrige Wasserstände im Sommer machen je nach Tiefgang der Boote das Befahren der Oder unmöglich. Von Michael Reh mit einem Schleusen-Dossier und einem Etappenplan versorgt, begaben wir uns zu dritt von der Charterbasis Niederlehme bei Königs Wusterhausen auf die Reise. Vor uns lagen neun Schleusen, ein Schiffshebewerk und 400 Kilometer Flussfahrt …
Tag 1, Montag, Niederlehme-Eisenhüttenstadt, 90 km, 3 Schleusen
Bereits am Abend zuvor machen wir uns mit dem Schiff vertraut, verstauen Proviant, richten die Kojen ein. Am frühen Morgen des 22. Mai legen wir um 7.00 Uhr am Marineservice Niederlehme ab, um schon zeitig an der ersten Schleuse Wernsdorf im Oder-Spree-Kanal zu sein. Für die 90 km lange Etappe bis Eisenhüttenstadt werden etwa acht Stunden Fahrtzeit veranschlagt, vorausgesetzt, an den Schleusen gibt es keine langen Wartezeiten. Für die „Große Berliner Umfahrt „zeigt sich das Wetter von seiner sonnigen Seite. Wir passieren auf der Dahme den Zeuthener See mit seinen prächtigen Villen, biegen hinter Schmöckwitz rechts in den Seddinsee ab und nach wenigen hundert Metern dann rechts in den Oder-Spree-Kanal ein. Als wir gegen 08.40 Uhr an der Wernsdorfer Schleuse ankommen, ist diese wegen einer Störung außer Betrieb. Ein Anruf beim Schleusenmeister bringt wenig Konkretes, denn er kann nicht sagen, wann die Havarie beseitigt ist, man arbeite daran. Bereits jetzt sehe ich unsere Zeitplanung wegschwimmen und das Etappenziel scheint in weite Ferne zu rücken. Endlich, gegen 10.00 Uhr, tut sich etwas und wir werden zusammen mit einem polnischen Lastkahn und einem WSA-Arbeitsschiff durchgeschleust. Um 10.30 Uhr sind wir wieder „auf der Piste“. Nach zwei Stunden Fahrt erreichen wir Fürstenwalde, dessen Wahrzeichen der Dom St. Marien einen Besuch wert ist. Am Kilometer 73,5 findet man zudem einen Gastanleger am Hotel „Haus am Spreebogen“, das sich ganz auf die Wünsche und Bedürfnisse von Wassertouristen eingestellt hat. Nach der Schleuse Fürstenwalde, die wir gegen 13.00 Uhr passieren, wird es romantisch und erst jetzt bekomme ich ein Gefühl für Strecke und Zeit. Optimistisch, dass wir nach der Passage der vorausliegenden Kersdorfer Schleuse unser Etappenziel doch noch erreichen können, fahren wir entspannt weiter. Am Kilometer 85 nagen Biber an den Bäumen und einige Angler säumen den Kanal, der letztes Jahr sein 125jähriges Jubiläum feierte. Nach einer telefonischen Anmeldung beim Kersdorfer Schleusenmeister haben wir bereits um 14:30 Uhr die Schleuse vor dem Bug und liegen damit gut in der Zeit. Hinter der Schleuse, am Kilometer 96, lassen wir einen Abzweig in die Spree rechts liegen und fahren geradeaus in Richtung Eisenhüttenstadt weiter. Im Örtchen Müllrose könnten wir in der charmanten Marina Schlaubetal am Kilometer 104 festmachen, doch die letzten 22 km des Tages bis Eisenhüttenstadt ziehen wir durch. Vorbei am Naturreservat Buschschleuse, einem ehemaligen Artillerieschießplatz, kommt wenig später die erste Straßenbrücke Eisenhüttenstadts in Sicht, und um 17.30 Uhr laufen wir im ehemaligen „Mielenzhafen“ ein, der heute Basis des Motoryachtclubs Eisenhüttenstadt ist. Wir werden herzlich aufgenommen, können duschen und machen uns zu einem kleinen Stadtbummel auf. Die Straßen der einst ab 1959 am Reißbrett entworfenen „Stalinstadt“ sind nahezu menschenleer und die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Wer sich für Architektur und DDR-Geschichte interessiert, der sollte die sozialistische „Planstadt“ unbedingt besuchen. Auch US-Schauspieler Tom Hanks war schon hier und hat sich einen himmelblauen Trabant als Souvenir mitgenommen. Wir essen zu Abend im Restaurant Balkan Grill und fallen danach müde in die Kojen.
Tag 2, Dienstag, Eisenhüttenstadt – Oderberg, 125 Kilometer, 2 Schleusen
Am Dienstagmorgen verlassen wir den Mielenzhafen, um pünktlich um 8.00 Uhr zur ersten Schleusung vor der großen Zwillingsschachtschleuse von Eisenhüttenstadt zu sein. Als wir nach ein paar Minuten an der Schleuse am Kilometer 127,50 der Spree-Oder-Wasserstraße (SOW) ankommen, sind wir das einzige Boot und der riesige Trog der von 1927 bis 1929 erbauten Schleuse ist noch leer. Mit Respekt und Bewunderung schauen wir uns das Bauwerk an, das zur Zeit der Erbauung eine technische Meisterleistung darstellte. Wir plaudern mit Schleusenmeister Thomas Stella und warten, bis sich der 12 m breite und 130 m lange Trog mit Wasser gefüllt hat. Dann fahren wir ein, machen an einem Schwimmpoller fest und werden über 12 m tief zu Tal geschleust. Wow, so eine Schleusung erlebt man nicht alle Tage! Hinter der Schleusenausfahrt lassen wir den Stadtteil Fürstenberg, daneben wurde später die Planstadt gebaut, an Backbord liegen und befinden uns nun direkt in der Mündung der Spree-Oder-Wasserstraße in die Oder. Wer in Fürstenberg festmachen möchte, der findet hier am Bollwerk einen kostenfreien Liegeplatz für die Nacht und kann zu einem Stadtbummel in das malerische Örtchen aufbrechen, bevor es dann auf die Oder geht. Bei herrlichem Sonnenschein biegen wir am Oderkilometer 553,4 in die Oder ein, der wir 113 km bis zum Kilometer 667 folgen werden. Wir passieren eine Landzunge mit deutschem Grenzpfahl und lassen Deutschland sozusagen hinter uns zurück. Schon die ersten Meter auf dem Fluss beeindrucken.
Auf der „Großen Berliner Umfahrt“ eröffnet sich vor uns eine weite Auenlandschaft, durch die sich der etwa 80 bis 100 m breite Fluss mit einer Fließgeschwindigkeit je nach Wasserstand von etwa 4 bis 7 km/h träge und gleichzeitig majestätisch dahinschlängelt. Über das ELWIS-Informationssystem haben wir die Fahrwassertiefen gecheckt, die zu dieser Zeit durchschnittlich 220 cm betragen. Mit unserer 120 cm tiefen „Anna Karenina“ dürften wir also keine Probleme bekommen. Die Gesamtfahrzeit auf der Oder haben wir mit acht Stunden kalkuliert. Unsere mittlere Reisegeschwindigkeit beträgt über Grund etwa 8,6 Knoten (16 km/h), die sich aus der Fließgeschwindigkeit von 5 km/h plus unserer eigenen Fahrgeschwindigkeit von etwa 10 km/h addiert. Ab jetzt gilt es, die Befahrensregeln des Flusses zu beachten und sich zu konzentrieren. Dazu muss man erklären: Die Oder hat ein dynamisches Geschieberegime, weshalb sich die Fahrinnenverläufe ständig ändern. Geschiebemergel und Sand bewegt sich an der Flusssohle talwärts, lagert sich temporär ab und verändert so den Fahrrinnenverlauf. Neben der üblichen Betonnung sind vor allem Baken und Vollzeichen an den beiden Uferseiten zu beachten. Der Fahrrinnenwechsel von einem zum anderen Ufer wird auf deutscher Seite durch schräg gestellte gelbe Bakenkreuze und auf dem polnischen Ufer durch senkrecht gestellte gelbe Bakenkreuze gekennzeichnet. Die Fahrrinnenlage wiederum wird auf dem deutschen Ufer (backbords) durch ein grünes Vollzeichen und auf dem polnischen Ufer (steuerbords) durch ein rotes Vollzeichen gekennzeichnet. Man fährt quasi einen Zick-Zack-Kurs und hält sich bis zum nächsten Fahrrinnenwechsel auf der mit dem jeweiligen Vollzeichen gekennzeichneten Uferseite. Das Prinzip funktioniert super, und wenn man nicht einschläft, kann man hierbei kaum Fehler machen. Zu beachten ist jedoch, dass die Sichtbarkeit der unzähligen kleinen Buhnen je nach Wasserstand anders ist. Viel Wasser bedeutet, kaum Buhnen zu sehen. Bei weniger Wasser sind die Buhnen gut zu erkennen. Schon nach kurzer Strecke stellt man sich auf den Fluss ein und „lernt ihn zu lesen“. Unsere erste Schiffsbegegnung haben wir mit einem polnischen Arbeitsschiff, das mit der Uferkennzeichnung beschäftigt ist und ebenfalls talwärts, also in Richtung Stettiner Haff, fährt. Den ersten optischen Höhepunkt passieren wir bereits bei Kilometer 556, wo sich auf der deutschen Seite die Ruine des 1943 erbauten Einheitskraftwerkes Vogelsang mit zwei 100 m hohen Schornsteinen befindet. Als die Rote Armee im Februar 1945 Fürstenberg erreichte, lief das Kraftwerk zum Teil schon im Probebetrieb und wurde bis 1947 wieder in den Rohbauzustand zurückgebaut. Große Einschusslöcher in den Schornsteinen zeugen von den damaligen Geschehnissen.
Nach der Passage der Steilhänge bei Lossow am Kilometer 577 und deren über 2700 Jahre alten Opferstätten und Kultplätzen erreichen wir bei Traumwetter um 11.45 Uhr Frankfurt/Oder und die polnische Nachbarstadt Slubice. Leider gibt es in Frankfurt keinen wirklich einladenden Bootsanleger. Aber man kann an einem WSA-Ponton am Stadtanleger für Fahrgastschiffe festmachen und von da zu einem Stadtbummel aufbrechen. Wir fahren schnurstracks weiter, vorbei an herrlichen Flusslandschaften und einigen Anglern, die ihre Zelte vor allem auf der deutschen Seite des Flusses aufgeschlagen haben. Kurz darauf passieren wir das Städtchen Lebus, dessen Ortsname ganz Hollywood-like auf einem riesigen Schild am Berghang oberhalb des Ortes prangt. Wer in Lebus Station machen und übernachten möchte, der findet hier zwar keinen Hafen, aber einen kleinen Anleger vor der Gaststätte „Anglerheim“. Besonders charmant ist der Anleger jedoch nicht. Bei Kilometer 614 liegt vor uns die Festung Küstrin (Kostrzyn), die im 16. Jahrhundert zum Schutz der Residenzstadt Küstrin errichtet worden war und auch Festungs- und Soldatenstadt genannt wird. Anfang des Jahres 1945 wurde die Küstriner Altstadt mit der Festung durch Kämpfe des XI. SS-Panzerkorps mit der 1. Belorussischen Front zerstört. Kriegsschäden, und Leerstand setzten dem Gemäuer teilweise bis zum Verfall zu, große Teile wurden zum Sperrgebiet erklärt. Nach dem Potsdamer Abkommen im Juli 1945 wurde die Festung Polen zugeschlagen. Seit 1994 werden Teile der Anlage liebevoll restauriert. Der auf der polnischen Seite liegende Teil der Festung bietet sogar einen neuen Bootsanleger für Besucher. Nur wenige Meter weiter, am Kilometer 617, mündet die Warthe in die Oder, und nun wird der Fluss ein Stück breiter, aber nicht unbedingt schneller. Boote mit größerem Tiefgang können hier über Steuerbord in die Warthe einbiegen und finden ein Stück flussaufwärts den Kostrzyner Wassersportklub „Delfin“, dessen Hafen 120 cm tief ist und Liegemöglichkeiten bietet.
Die nächste, und man muss schon sagen, fast einzige brauchbare deutsche Übernachtungsmöglichkeit auf der Oder zwischen Frankfurt/Oder und Hohenwutzen befindet sich im Örtchen Kienitz, einem der ältesten Oderbruchdörfer. Dort wartet am Kilometer 632 in einem Seitenarm der Oder ein kleiner Hafen auf Wassertouristen, der allerdings nur 80 cm tief ist. Gleich hinter dem Anleger und dem Deich befindet sich der „Gasthof zum Hafen“. Oder-Insider empfehlen Kienitz als Tagesziel und Pausenstation und der Ort hat einige Sehenswürdigkeiten zu bieten. So erinnern Mahnmale wie ein russischer Panzer an das turbulente Ende des 2. Weltkrieges, der gerade hier in der umkämpften Oderregion viele Opfer unter Bewohnern und Flüchtlingen und viele gesprengte Brücken und Bauwerke hinterließ. Wir erreichen den stillgelegten Verladehafen von Groß Neuendorf, der heute als Kulturhafen mit „Theater im Waggon“ und Ferienwohnungen in ausgedienten Eisenbahnwaggons viele Gäste anzieht. Ab hier wird die Landschaft hügeliger, es zeigen sich erste feine Ausläufer der eiszeitlichen Endmoränen der Uckermark. Am Kilometer 645 passieren wir die Fähre Güstebieser Loose – Gozdowice, die zwischen April und Oktober täglich außer montags in Betrieb ist. Barnim-Besucher können hier einen Abstecher ins Nachbarland Polen machen. Einen weiteren Augenschmaus bietet die Eisenbahnbrücke bei Zäckeritz (Siekierki) am Kilometer 654, die wir am Nachmittag erreichen. Der 1890 erbaute Stahlkoloss wurde 1945 gesprengt und 1955 für die militärische Nutzung wieder aufgebaut. Seit 2014 war die Brücke an Wochenenden zeitweilig geöffnet und eine Draisine pendelte als Brückentaxi hin und her. Heute ist die Brücke aus Naturschutzgründen offiziell geschlossen. Von hier ist es nicht mehr weit bis Hohenwutzen, einem Ort, der sich auf der polnischen Seite mit einem riesigen „Polenmarkt“ einen Namen in der Region gemacht hat und dessen Tankstellen und Supermärkte von vielen Menschen aus der Region besucht werden. Eine leer stehende Papierfabrik lockt als Lost-Place ebenfalls viele Besucher an. Wir lassen den Ort hinter uns und rufen schon ´mal vorsorglich in der Schleuse Hohensaaten-Ost an, denn bis zur Einfahrt in den Oder-Havel-Kanal am Oder-Kilometer 667 ist es nun nicht mehr weit. Ohne Wartezeit laufen wir gegen 17.00 Uhr in die für uns vorbereitete Schleuse ein und haben damit die härteste Etappe hinter uns gebracht. Die sechs Kilometer bis zum Etappenziel in der Marina Oderberg genießen wir in einer Idylle aus Bäumen, Hügeln und blauem Himmel. Ein freundlicher Anruf bei Hafenmeister Hannes Kelle in der Marina bringt uns Klarheit, ob ein Liegeplatz für die schmucke „Anna Karenina“ frei ist. Gegen 18.00 Uhr legen wir in der Marina Oderberg an und haben somit für die gesamte Oder-Etappe runde zehn Stunden gebraucht. Ein Tipp: Schon nachmittags durch die Schleuse Eisenhüttenstadt fahren und eine Nacht am Bollwerk in Fürstenberg festmachen. Dadurch wird die Oder-Etappe zwei Stunden kürzer. Den Abend lassen wir gemütlich ausklingen und sind uns einig, dass sich eine Oderfahrt ganz besonders für abenteuerlustige Skipper lohnt, die gerne Strecke fahren. Die von uns zurückgelegte Tagesdistanz ist mit wechselnder Aufsicht am Ruder problemlos machbar. Es gibt kaum Schiffsverkehr, die Landschaft ist abwechslungsreich und an den Zick-Zack-Kurs hat man sich schnell gewöhnt. Wir hatten zudem nie Grundberührung, auch wenn das Log einmal nur 30 cm Wasser unter dem Kiel anzeigte. Je nach Wasserstand und Tiefgang des Bootes bieten sich für ambitionierte Skipper außerdem genug Möglichkeiten, auch an den Ufern des Flusses anzulegen oder dort gar im Boot zu übernachten.
Tag 3, Mittwoch, Oderberg – Hohen-Neuendorf, 70 Kilometer, 1 Schiffshebewerk, 1 Schleuse
Der Mittwochmorgen zeigt sich regnerisch und grau. Der sehr rührige und um seine Gäste bemühte Hafenmeister und Marina-Betreiber Hannes Kelle hat schon Brötchen organisiert. Nach dem Frühstück füllen wir unseren 350-Liter-Tank direkt am Steg mit frischem Wasser auf. Ab heute betrachten wir die Weiterfahrt als entspanntes Schaulaufen, um wieder an den Ausgangspunkt der Tour zu kommen. Lediglich am Schiffshebewerk in Niederfinow wird es noch einmal sehr spannend, denn keiner von uns Dreien ist da schon einmal durchgefahren. Nach dem Ablegen in der Marina Oderberg ist das 1934 in Betrieb genommene Schiffshebewerk nach 45 Minuten bei Kilometer 87 flussabwärts erreicht. Das Industriedenkmal und älteste noch arbeitende Schiffshebewerk Deutschlands ist ein Erlebnis für sich. Per Trog überwindet man im Schiffsfahrstuhl einen Höhenunterschied von 36 Metern. Schon um 11.30 Uhr haben wir das Hebewerk passiert und orientieren uns nun auf der Havel-Oder-Wasserstraße mit ihren hochgezogenen stählernen Sperrtoren in Richtung Berlin. Bei Eberswalde entscheiden wir uns aus Zeitgründen für die Umfahrung der Stadt auf der HO-Wasserstraße, anstatt den idyllischen Weg durch die sehenswerte Stadt über den Finowkanal zu nehmen. Skippern mit Zeit sei die mit über 400 Jahren älteste deutsche Wasserstraße empfohlen, die über zwölf historische Schleusen verfügt. Der malerische Finowkanal ist allein einen Törnbericht wert.
Um 13.35 Uhr passieren wir die Marina Marienwerder am Kilometer 54 und könnten jetzt rechts in Richtung Werbellinkanal zum etwa zehn Kilometer entfernten Werbellinsee abbiegen. Doch auch darauf verzichten wir aus Zeitgründen, möchten aber den lohnenden Abstecher zum dem glasklaren See in der Schorfheide unbedingt empfehlen. Am Kilometer 50 zweigt der sogenannte „Lange Trödel“, ein Abschnitt des Finowkanals, bei Zerpenschleuse nach rechts ab. Kleine Boote können hier im Sommer bis nach Liebenwalde fahren und dort in die Obere-Havel-Wasserstraße einbiegen. Wir lassen alle Abzweige an Steuerbord liegen, passieren die Werft bei Malz, den Lost-Place „Lungenheilstätte Grabowsee“ und kommen um 15.45 Uhr an der Lehnitzschleuse. Diese gilt unter Sportbootfahrern als neuralgischer Punkt, bei dem mancher schon an den langen Wartezeiten von Süden her kommend verzweifelt und umgekehrt ist. Der Schleusenwart erklärt am Telefon, dass Wasser gespart werden muss und wir etwa anderthalb Stunden warten müssten. „Nächste Schleusung ca. 17:20 Uhr“ zeigt uns eine digitale Anzeige am Warteplatz an. Doch früher als gedacht können wir bereits um 17:00 Uhr über den heimischen Lehnitzsee schippern und erreichen 90 Minuten später Uhr das Dreieck Pinnow bei Borgsdorf. Von hier ist es noch ein kurzes Stück bis zum Tagesziel, der Marina Havelbaude bei Hohen-Neuendorf, wo wir uns schon vorher beim Hafenmeister angekündigt hatten.
Tag 4, Donnerstag, Hohen-Neuendorf – Potsdam, 50 Kilometer, 1 Schleuse
Da wir gut in der Zeit liegen, wollen wir den Herrentag beschaulich angehen und die Marina am Tiefen See in Potsdam ansteuern. Der Hafenmeister bringt knusprige Brötchen und die Havelbaude bereitet sich schon frühmorgens auf den Ansturm zum Herrentag vor. Als wir um 10.00 Uhr ablegen, sind im Gegensatz zu den vorangegangenen Tagen schon viele Boote unterwegs. Wir tangieren den Tegeler See und steuern auf die der Schleuse Spandau zu. Da wir mit einem Charterschiff unterwegs sind, können wir hinter der Zitadelle nicht über die Berliner Stadtspree durch die City fahren, weil dort betriebsbereite Funkgeräte an Bord Pflicht sind. Die meisten Charterschiffe sind leider nicht mit Funkgeräten ausgestattet. Aber es heißt ja „Große Berliner Umfahrt“, und so geht es an der großen Marina Lanke vorbei auf der Havel weiter in Richtung Kladow, vorbei an der mondänen Insel Schwanenwerder (auf der Goebbels wohnte) in Richtung Unterhavel. Nicht nur am Herrentag ist hier viel los und hunderte Segelboote aus den zahlreichen Berliner Vereinen kreuzen unseren Kurs. Die Wasserschutzpolizei macht Kontrollen, winkt voll besetzte Sportboote heran. Leider ist das Wetter trübe, als wir uns mittags der Heilandskirche bei Sacrow nähern, die hier auf einer Landzunge stehend in den Fluss hineinragt. Einst im Grenz- und Sperrgebiet gelegen, ist das im italienischen Rundbogenstil gegen Mitte des 19. Jahrhunderts erbaute Gotteshaus heute ein Besuchermagnet.
Als nächstes geht es auf den Jungfernsee, an dem sich nicht nur Prominente wie der Ex-BILD-Chef Kai Dieckmann mondäne Refugien geschaffen haben. Vor uns liegt die durch Agentenaustausch berühmt gewordene Glienicker Brücke und im Hintergrund thront das Schloss Babelsberg. Einst als Sommersitz für den Prinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I. errichtet, wurde es ab 2016 umfassend saniert und beherbergt heute wechselnde Ausstellungen. Wir biegen ab auf den Tiefen See, wo wir in der gleichnamigen Marina in Brandenburgs Hauptstadt festmachen. Trotz des relativ miesen Wetters herrscht gute Stimmung in der Marina und das kleine Restaurant ist ziemlich voll. Der Blick in die Speisekarte verschlägt uns jedoch die Sprache und den Appetit. Eine Currywurst mit Pommes für 8,90 Euro wollen wir nicht essen und eine kleine Flasche Bier am Stand auf dem Gelände für 3,60 Euro nicht trinken. Wir lassen den Tag bestens versorgt auf der „Anna Karenina“ ausklingen. Es sei erwähnt, dass sich alle Potsdamer Marinas in unmittelbarer Nähe zu den vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt des Königs von Preußen, Friedrichs des Großen (1712-1786) befinden. Ein Ausflug ins „Holländerviertel“, nach Sanssouci oder in das neue, von SAP-Mitgründer Hasso Plattner gestiftete und erbaute Museum „Barberini“ sollte auf jedem Sightseeing-Plan stehen. Zur Eröffnung des Museums im Januar 2017 spielte übrigens CCR-Rocklegende John Fogerty hinter verschlossenen Türen vor einer illustren Schar prominenter Gäste wie Wolfgang Joop, Günther Jauch, Matthias Döpfner und Max Raabe. Der Museumsstifter selbst griff indes als CCR-Fan zur Gitarre.
Tag 5, Freitag, Potsdam – Niederlehme, 55 Kilometer, 1 Schleuse
Unserer letzten Etappe sehen wir mit Wehmut entgegen, denn es fällt tatsächlich schwer, von dem schönen Charterschiff und den Berliner Gewässern Abschied zu nehmen. Trotz unseres sportlichen Zeitplanes haben wir viele unvergessliche Momente erlebt. Um 8.15 Uhr legen wir in der Marina am Tiefen See ab. Das Wetter ist bewölkt und diesig. Vorbei am Schloss Babelsberg biegen wir in den Griebnitzsee ein, wo uns der Charme des Geldes in Form unbeschreiblich schöner Villen beeindruckt. In der von Mies van der Rohe 1915 für den Mitinhaber der Deutschen Bank, Franz Urbig, gebauten „Villa Urbig“ gaben sich Churchill, Truman und Stalin einst zur Potsdamer Konferenz die Hand. Heute lebt darin Milliardär und Mäzen Hasso Plattner, der die Villa 2009 erwarb und von hier nur zehn Minuten Fußweg bis zu dem von ihm gegründeten „Hasso-Plattner-Institut“ in Potsdam-Babelsberg hat. Der kleine See ist von traumhaften Anwesen gesäumt, an denen man sich kaum sattsehen kann. Am Ende des Griebnitzsees beginnt rechts der Teltowkanal und am Kilometer 8 wartet auch schon die Schleuse Kleinmachnow auf uns. Wie so oft sind wir das einzige Boot und werden schnell geschleust. Wenig später befinden wir uns gewissermaßen im Süden der Stadt Berlin und queren nach Teltow die Berliner Stadtteile Lichterfelde, Tempelhof-Schöneberg, Neukölln, Britz und Treptow, bis wir etwa am Kilometer 37 in die Dahme in Richtung Köpenick einbiegen. Zu dieser Teilstrecke sei gesagt, dass sie durch unzählige Brücken und markante Bauwerke wie das Ullsteinhaus nicht langweilig ist. Hier auf dem Wasser lernt man die Stadt von einer ihrer unbekannten Seiten kennen. Das einzige Boot, das uns hier begegnet, wird von einem jungen Serben gesteuert, den wir bereits im Schiffshebewerk Niederfinow getroffen hatten. Um 13.00 Uhr laufen wir den Hafen Königs-Wusterhausen an, um den Septiktank zu entleeren. Dann geht zurück zu unserem Ausgangspunkt am Steg des Marineservice Niederlehme. Hinter uns liegen fünf spannende Tage und die Erkenntnis, dass die „Große Berliner Umfahrt“ ein abwechslungsreicher, interessanter und für die meisten Skipper problemlos machbarer Rundtörn ist, den wir absolut empfehlen können.