REISEREPORT EIDER-TÖRN
Idylle zwischen Nord-Ostsee-Kanal und Wattenmeer
Mit einer befahrbaren Länge von etwa 108 km schlängelt sich die Eider in Schleswig-Holstein westlich von Rendsburg bis in die Nordsee. In die Abschnitte Außeneider, Tiden- und Binneneider unterteilt, empfiehlt sich der idyllische Küstenfluss als abwechslungsreiches Revier für abenteuerlustige Fahrtenskipper…
Zugegeben – als die Idee geboren wurde, die Eider zu befahren, hatte ich zwar den Namen des Flusses im Kopf, aber keinerlei konkrete Vorstellung. Erst nach einem Blick auf Google Maps ließ sich das Gewässer einnorden und nach etwas tiefergehender Recherche erwachte Neugier. Besonderes Interesse weckte dabei die Tatsache, dass der Flussabschnitt der Tideneider gezeitenabhängige Wasserstände hat, und ich begann mich intensiver mit der Eider zu beschäftigen. So ist bereits die Suche nach dem Ursprung des Flusses spannend, denn er wird aus vier Quellbächen mit offenen Bachläufen und Verrohrungen gespeist, bleibt oft unsichtbar. So fließt unter dem Begriff „Drögen Eider“ ein Eider-Zufluss in den Bothkamper See, der sich an der Bundesstraße B 404 etwa zehn Kilometer südlich von Kiel befindet. Diese „Drögen Eider“ hat ihren Ursprung in einer Moränen-Landschaft mit Rinnsalen, Gräben und Wasserläufen in einem Gebiet südlich von Bothkamp. Den See verlassend, schlängelt sich der Fluss später östlich an Bordesholm vorbei, nimmt einen nördlichen Verlauf bis in den Schulensee am südlichen Stadtrand von Kiel, um dann weiter über Westensee, vorbei am Flemhuder See als Ringkanal in den Nord-Ostsee-Kanal zu münden und bis Rendsburg zu fließen. Nahm der Fluss früher seinen Lauf durch den Rendsburger Stadtkern, so ist er heute gekappt und endet als Obereider in einer Bucht des Nord-Ostsee-Kanals, kurz NOK, am Yachthafen Rendsburg. Die untere Eider beginnt im Nordwesten der Rendsburger Altstadt, von wo sie am Kilometer 0 ihren Lauf bis zum Kilometer 100 über das Dithmarsche Eidervorland mit Watt und am Eidersperrwerk in die Nordsee mündet. Bildete die Eider Jahrhunderte lang die Grenze zwischen dem Heiligen Römischen Reich und Dänemark, so trennt sie heute die Landesteile Schleswig-Holsteins. Zusammen mit den Nebenflüssen Treene und Sorge bildet die Eider eine einzigartige Kulturlandschaft im schleswig-holsteinischen Binnenland.
Ausgangspunkt unserer Reise ist die Basis der Charterfirma von Jens Edler neben dem Restaurant „Zum Alten Fährhaus“ in Wrohm-Lexfähre, an der Bundesstraße B 203 und 20 Kilometer westlich von Rendsburg. Die kleine Siedlung mit Gasthaus, Hafen und Campingplatz wurde nach der gleichnamigen Schleuse Lexfähre benannt, die 1936 hier am Eider-Kilometer 26 in Betrieb genommen wurde und mittels Klappbrücke die Landkreise Dithmarschen und Rendsburg miteinander verbindet. „Wenn ihr gegen 15.00 Uhr hier seid, können wir noch einen gemeinsamen Abstecher zum Nord-Ostsee-Kanal machen“, hatte mir Charterunternehmer Jens Edler am Telefon angekündigt. Das klang verlockend, und so legten wir noch am Nachmittag mit einer zehn Meter langen Delphia namens „Captiva“ zu einer Spritztour ab, bevor wir am nächsten Morgen unseren Eider-Törn gen Norden starteten. Wir, das sind meine bootsbegeisterten Mitfahrer Marina und Jan vom Wassersportverein Lychen und ich. Umgeben von sattgrünen Wiesen und Weidekühen, fahren wir die praktisch strömungsfreie Eider südwärts zum Gieselaukanal. Es geht vorbei am Flora-Fauna-Habitat „Prinzenmoor“, einem ehemaligen Hochmoorgebiet mit Feuchtwiesen und Moorbirken, das als Lebensraum für zahlreiche Vogelarten und Schlangen zum Netz der europäischen Schutzgebiete „Natura 2000“ gehört. Etwa am Eider-Kilometer 23,5 lassen wir an einer Kreuzung den Altarm der Eider backbords liegen, denn das Befahren bis in die Stadtmitte von Rendsburg bleibt bei einer Wassertiefe von maximal 70 cm nur kleineren Wasserfahrzeugen oder Paddlern vorbehalten. Nun befinden wir uns auf dem drei Kilometer langen Giselau-Kanal, welcher die Untereider mit dem Nord-Ostsee-Kanal verbindet. An der Schleuse Giselau, wo Wasserstände zwischen NOK und Eider ausgeglichen werden, muss eine Befahrungsabgabe des NOK entrichtet werden. Dafür klettert man die Schleusenwände hoch und bezahlt im Büro des Schleusenwärters je nach Bootslänge eine „Mautgebühr“. Erst wenn dies geschehen ist, wird geschleust! Das Ticket gilt dann für die Hin- und Rückfahrt, wir bezahlen acht Euro. Der Giselau-Kanal mündet zwischen NOK-Kilometer 40 und 41 in den 98,6 Kilometer langen Nord-Ostsee-Kanal, der zugleich als die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt gilt. Im Sommer sollen bis zu 10.000 Sportboote den NOK, der die Ostsee mit der Nordsee verbindet, passieren. Auf dem Kanal, der als Küstenwasserstraße wie die Eider mit dem Sportbootführerschein See zu befahren ist, gilt die Seeschifffahrtsstraßenordnung (SeeSchStrO) und es sind Regeln einzuhalten. Informationen dazu gibt es beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Kiel-Holtenau. Kaum auf dem NOK gelandet, bekommen wir eine leise Ahnung vom hiesigen Verkehr, denn schon begegnen uns die ersten richtig großen Pötte. Jetzt könnten wir etwa fünf Stunden bis nach Kiel oder knapp drei Stunden bis nach Rendsburg fahren. Hinter der Kanalfähre Oldenbüttel drehen wir wieder um und treten beeindruckt die Rücktour nach Lexfähre an, wo wir ja am nächsten Morgen Richtung Nordsee aufbrechen wollen.
Der erste Tag des Törns erfordert einen strengen Zeitplan, denn wenn wir Ebbe und Flut erleben wollen, müssen wir gegen 13.00 Uhr an der Schleuse Nordfeld sein, um dann auf der Tideneider bei Niedrigwasser nach Friedrichstadt zu kommen. Da sich ab dem 15. September die Saison-Schleusenzeiten geändert haben, müssen wir wiederum bis 16.00 Uhr an der dortigen Schleuse sein, um in den sicheren Hafen des Motorboot-Clubs-Friedrichstadt zu kommen. Vor uns liegen insgesamt knapp 60 km Strecke bis zum Tagesziel. Da uns das Boot nur knapp drei Tage zur Verfügung steht, wollen wir die Strecke in einem Ritt machen und kalkulieren bei guten fünfeinhalb Knoten eine Fahrtzeit von etwa sechs Stunden ein. Da die kurvenreiche und stark mäandernde Eider ein paar Untiefen hat, nehme ich zur obligatorischen Seekarte und Kartenplotter die Navionics Boating App zu Hilfe, auf der sich ziemlich präzise detaillierte Tiefenlinien darstellen lassen. Im Zusammenspiel mit der Vorauslinie des Bootes ist das eine feine Sache. Sehr nützlich für die Törnplanung ist auch ein PDF-Merkblatt des Wasser- und Schifffahrtsstraßenamtes Tönning, auf dem alle Betriebszeiten von Schleusen und Brücken sowie alle notwendigen Telefonnummern vermerkt sind. Dieses wichtige Merkblatt liegt natürlich auch an Bord des Charterbootes aus. Auf geht’s!
Um 8.00 Uhr legen wir ab. Keine 20 Minuten später haben wir bereits die Schleuse Lexfähre passiert, wo wir uns zuvor per Telefon angemeldet hatten. Das Wetter zeigt sich durchwachsen mit starkem Wind aus West. Mitte September hat sich das Ende des Sommers angekündigt. Ohne Hast schippern wir gutgelaunt durch eine idyllisch-grüne Flusslandschaft mit Wiesen, Weiden, Feldern, Mooren, Schöpfwerken, Kühen, Vögeln und unsichtbaren Fischen. Obwohl recht unspektakulär, machen die vielen Kurven auf das neugierig, was hinter der nächsten Biegung liegt. Meistens nicht viel, könnte man despektierlich sagen. Doch wir befinden uns scheinbar der Welt entrückt in bezaubernder Natur und das allein schon ist Genuss. Wie wohl auch im Frühjahr der Fall, begegnen uns kaum Boote – wir sind fast allein auf der Eider unterwegs. Bei Kilometer 34 lassen wir die Eiderinsel backbords liegen, um die herum es einige Liegeplätze von Wassersportclubs gibt. Zwei Kilometer weiter passieren wir Hohnerfähre, wo man beim WSC-Lührs festmachen könnte. Die von einem Verein betriebene Fähre bringt von Mai bis September Wochenendausflügler über die Eider. Dann macht der Fluss eine 90-Grad-Biege nach links, wo sich bei Tielenhemme am Kilometer 38 weitere kleine Sportbootanleger befinden. Etwa am Kilometer 43 präsentiert sich bei Tielen eine größere Steganlage, an der auch unser Zehn-Meter-Charterboot Platz hätte. Schließlich erreichen wir die Gemeinde Pahlen im Kreis Dithmarschen, wo es vor der Klappbrücke bei Pahlhude einen Sportboothafen gibt, an dem sogar ein weit gereistes Motorboot aus Greifswald liegt. Die Durchfahrtshöhe bei geschlossener Brücke und Mittelwasser beträgt 3,50 Meter. Obwohl wir mit 3,20 Metern ohne Brückenzug passieren könnten, öffnet uns der Brückenwart nach Anruf sofort die Straßenbrücke, hinter der wir am Kilometer 50,5 steuerbords die Bargener Fähre passieren. Fähre, Campingplatz, Yachtanleger und ein kleiner Strand am gegenüberliegenden Schwienhusen machen das Areal im Sommer zu einer begehrten Party-Zone. Auf der Fähre finden Trauungen statt und die Passagier-Fähre gilt als kultureller Mittelpunkt eines attraktiven Wander- und Radwegenetzes.
Zwei Kilometer weiter, bei Delve, gibt es einen weiteren Bootsanleger, ein Gasthaus und einen Campingplatz mit Freibad. Bald schlägt die Eider an der Eiderschleife einen Dreiviertel-Vollkreis entgegen des Uhrzeigersinns, wobei sich im Norden die Ortschaft Süderstapel befindet. Unterhalb der auf einer Anhöhe liegenden Ortskulisse gibt es zwei Yachtanleger, die im Sommer gut frequentiert sind. Der Ort verfügt über eine sehenswerte Kirche, von der lediglich die Kirchturmspitze vom Wasser aus erkennbar ist, weil hohe Bäume die Sicht versperren. Die bekannteste Sehenswürdigkeit des Ortes soll ein prächtiges Fachwerkhallenhaus namens Ohlsenhaus sein. Wir fahren vorbei, passieren einen weiteren Bootsanleger bei Horst und erreichen gegen 13:30 Uhr die Schleuse Nordfeld, neben der es ebenfalls Liegemöglichkeiten gibt.
Ab hier wird es spannend, denn hinter dieser Schleuse bei Kilometer 78 beginnt die Tideneider, deren Wasserstand durch die Gezeiten um etwa eineinhalb Meter schwankt. Erstmals in einem Tidengewässer unterwegs, haben wir keinerlei Vorstellung davon, wie es hinter der Schleuse aussehen könnte, die wenige Minuten nach unserer Ankunft sofort geöffnet wird. „Wenn Sie etwa drei Kilometer entfernt sind, kann ich Sie bereits sehen“, hatte der Schleusenwart zuvor am Telefon erklärt. Als sich Schleusentore öffnen, trauen wir kaum unseren Augen. Wir kommen rechtzeitig zum Niedrigwasser und vor uns liegt eine andere Welt, das Marschland. Die Ufer sind trockengefallen, Fischernetze- und Reusen liegen auf trockenem Grund. Die Szenerie ist gewöhnungsbedürftig, erinnert an ausgetrocknete asiatische Flüsse in der Trockenzeit. Das schmale, aber im Mittel bis zu drei Meter tiefe Fahrwasser ist mit Tonnen und Pricken gekennzeichnet. Man kommt problemlos zurecht, der Skipper sollte aber unbedingt auf das Fahrwasser achten. Das ist besonders nach dem Kilometer 83 vor Friedrichstadt wichtig, wo die Tideneider eine 90-Grad-Kurve macht. Eine Steinpackung querab der roten Tonne 100 sollte man schon steuerbords liegen lassen. Das nächste Schmankerl befindet sich vor der Einfahrt zur Schleuse Friedrichstadt, wo die rote Tonne ebenfalls in weitem Bogen umfahren werden sollte. Wer bei Niedrigwasser ankommt, kann das Hindernis kaum übersehen. Mittlerweile haben wir auch die Schleuse Friedrichstadt über unsere Ankunft informiert und werden erwartet. Hier sei vermerkt, dass es sich durchaus empfiehlt, an dieser Schleuse anzumelden, denn auf der Tideneider gibt es keine Anlegemöglichkeiten. Schleusenzeiten und Gezeiten sollte man deshalb unbedingt im Blick haben. Etwa gegen 15.00 Uhr erreichen wir die Schleuse, an der eine Gebühr zu entrichten ist. Dafür kraxelt man wieder die Schleusenwände hoch, begibt sich in das Büro der Schleusenwärter und entrichtet wie in unserem Fall 9,70 Euro, die für Ein- und Ausfahrt nach Friedrichstadt gelten. Wenige Meter hinter der Schleuse geht es noch vor einer Straßenbrücke durch eine enge Einfahrt in den rechts liegenden und tidefreien Hafen des Motorboot-Club-Westküste e.V. von Friedrichstadt. In unmittelbarer Stadtnähe findet man hier Ruhe, beste Service- und Sanitäranlagen, Waschmaschinen und Trockner, Kanister und Handwagen, um eventuell an einer nahegelegen Tankstelle Treibstoff zu bunkern. Der diensthabende Vereins-Hafenmeister Heinz Jürgens empfängt uns freundlich und gibt kompetente Gewässertipps. Das 1621 durch Herzog Friedrich III. gegründete Friedrichstadt ist heute ein Kulturdenkmal. Für die Errichtung einer Handelsmetropole holte der Herzog niederländische Bürger und verfolgte Remonstranten in den Ort und gewährte ihnen Religionsfreiheit. In der Folgezeit siedelten sich weitere Religionsgemeinschaften in Friedrichstadt an. Bis heute prägen Bauten der niederländischen Backsteinrenaissance und bunte Grachten des „Holländerstädtchen“, das wie ein Magnet Besucher anzieht und vor allem vom Tourismus lebt. Wer auf und an der Eider unterwegs ist, der sollte diesen charmanten und pittoresken Ort gesehen haben!
An einem milden Septemberabend beobachten wir von einem Damm aus das einsetzende Hochwasser und lassen den Tag danach an Bord ausklingen. Die Mannschaft zeigt sich von den Erlebnissen beeindruckt. „Das ist mal etwas anderes“, meint Marina, „wenn man ansonsten nur auf der Mecklenburgischen- oder Berliner Seenplatte unterwegs ist, hat man keine Vorstellung davon …!“
Am nächsten Vormittag treten wir den Rückzug an und beschließen, statt eines Zwischenstopps auf der Eider in einem Ritt etwa sechs Stunden bis zur Ausgangsbasis nach Lexfähre zu schippern. Das Wasser der Tideneider befindet sich ebenfalls auf dem Rückzug und so finden wir nach der Schleusenausfahrt ähnlich-reizvolle Wasserstandverhältnisse wie auf der Hinfahrt vor. Wie geplant, machten wir unsere „Captiva“ gegen 17.30 Uhr in Lexfähre fest. Nach Tönning und zum Eidersperrwerk fahren wir mit dem Auto. Wer per Boot nach Tönning möchte, benötigt von Friedrichstadt ausgehend etwa zwei Stunden. Ganz wichtig ist, die Gezeiten im Blick zu behalten. Die Einfahrt in den Hafen von Tönning ist mit Motorbooten nur bis drei Stunden vor- und bis drei Stunden nach Niedrigwasser möglich, da der Hafen und sogar die Einfahrt bei Ebbe komplett trockenfallen. Das nordfriesische 5.000-Einwohner-Städtchen ist ein atemberaubend hübscher Ort, der mit einer Vielzahl an Sehenswürdigkeiten vor malerischer Kulisse aufwartet. In einer der vielen Kneipen im Hafen von Tönning könnte man stundenlang sitzen und dem illustren Treiben im Hafen und den Gezeiten zusehen. „Hier könnte man direkt Urlaub machen“, sagt Jan. Schließlich runden wir unsere Reise mit dem Besuch des kolossalen Eidersperrwerks am Eider-Kilometer 111 ab, wo unsere Augen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Eine Bronzetafel verkündet wörtlich: „Zur Abwehr von Sturmfluten, Sicherung der Vorflut, Erhaltung der Schiffahrt. 1967-1973 gemeinsam erbaut von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Schleswig-Holstein“.
Neben dem 200 Meter breiten und gigantischen Sielbauwerk bei Wesselburenerkoog befindet sich zwischen Tiden- und Außeneider eine Schifffahrtsschleuse. Hinter den Schleusentoren eröffnet sich der unendliche Blick ins weite Wattenmeer der Nordsee. Für erfahrene und mit dem Revier vertraute Motorboot-Skipper beginnt genau hier ein besonders Abenteuer. Hinter dem Nordfriesischen Wattenmeer und dem Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer mit Husum, St. Peter-Ording, Büsum oder Friedrichskoog liegt 34 Seemeilen voraus Helgoland, Deutschlands einzige Hochseeinsel. Eine Stippvisite auf dem „Roten Felsen im Meer“ sparen wir uns jedoch fürs nächste Mal auf, wenn wir dieser typisch-norddeutschen Region einen Besuch abstatten.