Zwischen Tulpenfest und Königstag – mit dem Charterboot in Holland
Ende April eines jeden Jahres herrscht in den Niederlanden Partystimmung. Zuerst wird im größten Blumenpark der Welt, in Keukenhof südlich von Amsterdam, ein großes Tulpenfest gefeiert, und am 27. April hat König Willem-Alexander Geburtstag. Genau zu dieser Zeit waren wir mit dem Charterboot in Holland.
Zugegeben, ein Chartertörn im April ist nicht jedermanns Sache, und wer opfert außerdem schon gerne wertvolle Urlaubstage in wetterunbeständigen Zeiten? Dennoch haben Chartertörns in der Vorsaison den Vorteil, dass man in der Regel ziemlich allein unterwegs ist und ohne Verkehrsbehinderungen entspannt dahinfahren kann. Deshalb war es auch kein Problem, als mich Patrick Kerkvliet, der Inhaber von Olympia Charters aus Warmond in den Niederlanden, ausgerechnet zu einem Törn mit dem Charterboot in Holland Ende April überredete. Er schwärmte von einem Blumenkorso samt Tulpenfestival in Keukenhof nahe Amsterdam und versicherte, dass am „Königstag“, dem Geburtstag des Königs, überall im Land der Bär steppt. Das sollte ich unbedingt einmal erlebt und gesehen haben, und so fand sich auch schnell eine interessierte Mannschaft für diesen Chartertörn im Lande der Tulpen und Grachten. Nicht ganz ohne Revierkenntnisse stellte ich eine Tour zusammen, die im Gegensatz zu den bisherigen Routen in heimischen Gewässern zwar nicht so viel Strecke machte, weil auch Brücken-Wartezeiten einkalkuliert werden mussten, aber für regionale Abwechslung und Spannung sorgen würde. Außerdem sollte die Route innerhalb der Provinzen Nord- und Südholland so gestaltet sein, dass sie von einer Chartercrew innerhalb einer Woche ohne Zeitdruck entspannt zu fahren ist… (Auszug)
Wie uns geraten wurde, machen wir uns bei strahlendem Sonnenschein gegen 9.30 Uhr per Auto in Richtung Keukenhof auf. Vor dem riesigen Gelände staut sich weiträumig der Verkehr. Bei einer Parkplatz-Kapazität von 4.500 Pkw und 1.000 Reisebussen wird klar, welche Besuchermassen der weltgrößte und schönste Frühlingspark der Welt verkraften muss. Der 32 Hektar große Park mit 20 Blumenshows in einem der drei Pavillons Beatrix, Willem-Alexander und Oranje-Nassau sowie sieben Inspirationsgärten öffnet jeweils am 22. März und schließt am 13. Mai. In dieser Zeit erfreuen sich über eine Million Besucher aus aller Welt an über sieben Millionen Frühlingsblumen wie Tulpen, Hyazinthen und Narzissen. (www.keukenhof.nl). Beim jährlich stattfindenden Blumenkorso von Noordwijk nach Haarlem zeigen aufwendig geschmückte Umzugswagen prächtige Blumenbilder aus bis zu 400.000 Blumen. Trotz des unvorstellbaren Besucheransturms fühlen wir uns inmitten der Menschenmassen wohl. Parkplatzeinweisung und gastronomische Versorgung sind vom Park-Management perfekt organisiert und nirgendwo gibt es Krakeeler. Offenbar stimmt der Anblick der gigantischen Blumenpracht alle Menschen friedlich. Als wir den Park am Nachmittag wieder verlassen, sind sich alle einig, dass man das mal gesehen haben muss – phantastisch, traumhaft, genial! Noch von der bald vergehenden Blütenpracht berauscht, bereiten wir uns auf den morgigen Törnbeginn vor und legen wegen des Keukenhof-Besuchs praktisch einen Tag später ab. Nun beginnt unsere Tour mit dem Charterboot in Holland…
Tag 1, Warmond – Haarlem / 29 km, 7 Brücken*
(* Die angegebene Brückenanzahl bezieht sich auf Brücken, die wegen zu geringer Durchfahrtshöhe bedient werden müssen beziehungsweise von einem Brückenwart bedient werden. Die Durchfahrtshöhe liegt dabei unter 2,50 Metern). Nach einer Einweisung legen wir bei schönem Wetter um 11.00 Uhr in Warmond ab und erreichen über die Spriet, das Norremeer und Dieperpoel bereits 45 Minuten später den Lisserdeich bei Buitenkaag, der hier die geografische Provinzgrenze zwischen Nord- und Südholland markiert. Schon auf den ersten Kilometern zeigt sich ein „Bilderbuch-Holland“ mit hübschen Häusern, Windmühlen und sattgrünen Polderflächen, die weit unter dem Niveau der Wasserstraßen- und Kanäle liegen. Wir erreichen den Ort Lisse in der Nähe von Keukenhof und passieren ohne Wartezeit um 12.30 Uhr unsere erste Zugbrücke „Lisserbrug“, die wegen ihrer geringen Durchfahrtshöhe von nur 1,10 m geöffnet werden muss – unser Boot ist 2,45 m hoch. An dieser Stelle sei auf das korrekte Passieren von Brücken hingewiesen, wobei Lichtsignale an den Brücken zu beachten sind. Rote Lichtsignale bedeuten immer, dass das Durchfahren der Brücke verboten ist, sofern keine gelben oder grünen Lichtsignale sichtbar sind…
Etwas später kommt bei Cruquius ein Gebäude in Sicht, dem man unbedingt einen Besuch abstatten sollte – das ehemalige Pumpwerk De Cruquius. Heute ein technisches Museum, erfährt man dort alles über die Trockenlegung des Haarlemmermeeres, dem ehemals größten Binnensee in den Niederlanden. Der „Wasserwolf“ genannte See verschlang ganze Dörfer und bedrohte schließlich auch Amsterdam. Doch wie sollte man diese riesige und etwa fünf Meter tiefe Wasserfläche trockenlegen? Windmühlen schieden wegen ihrer zu geringen Förderkapazität aus. Mit dem Einzug von Dampfmaschinen wurden ab 1848 drei große Pumpwerke gebaut, die innerhalb von drei Jahren 800 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Haarlemmermeer abpumpten. Mit jedem Pumpenschlag der Dampfmaschine förderten die acht Pumpen von De Cruquius 64.000 Liter Wasser hinauf und leiteten es in einen Ringkanal. 1933 wurde das Pumpwerk stillgelegt und erst 2002 durch Prinz Willem-Alexander als technisches Denkmal wieder in Bewegung gesetzt. Wer erfahren will, wie das Prinzip der holländischen Polder-Trockenlegung und die Abschottung des Landes gegen die Nordsee funktioniert, der sollte unbedingt dieses Museum besuchen, das auch über einen Gäste-Bootsanleger verfügt!
Nach dem Besuch des Pumpwerkes trennen uns nur noch wenige Kilometer und vier „Bedien-Brücken“ von unserem Tagesziel, einem Anleger in Haarlem. Je näher wird dem Stadtzentrum kommen, desto belebter werden die Uferanlagen, und so machen wir gegen 18.00 Uhr hinter der Windmühle „De Adriaan“ an der Straße „Kelderwinkade“ fest. Ein Anruf beim Hafenmeister bringt Klarheit über Strom und sanitäre Anlagen, die sich unscheinbar in unmittelbarer Nähe einer neuen Häuserzeile befinden und per übermittelten PIN-Code zu nutzen sind. Wir nutzen den Abend zu einem kleinen Bummel durch das malerische Haarlem, wo es an Kneipen und Coffeeshops nicht mangelt. Wer sein Rheuma bekämpfen möchte, kann hier für 3,50 Euro (ein ganzer Joint) zur bereits fertigen Tüte greifen. Ein Gramm Cannabis der Sorte White Widow ist ab zehn Euro zu haben. Auf der „Speisekarte“ stehen Marihuana-Typen wie Super Lemon Haze, B 52, Afghan Haze, Bubble Gum, Bubblelicious, Hundu Kush oder White Haze. Schmerzpatienten gehen hier die Augen auf und in den Shops herrscht reger Betrieb. Pro Person wird in den Niederlanden der Verkauf und das Mitführen von bis zu fünf Gramm geduldet. Öffentliches Kiffen ist zwar nicht erlaubt, hat für die Polizei jedoch keine Ermittlungspriorität und ist deshalb ziemlich normal. Die Einfuhr und der Besitz von Marihuana ist in Deutschland hingegen bei Strafe verboten!
Tag 2, Haarlem- Amsterdam / 20 km, 1 Schleuse, 1 Brücke
Nach einem kräftigen Bordfrühstück mit Rührei und Bratkartoffeln begrüßt uns an der Pier die freundliche Hafenmeisterin Jet van der Loos, deren Amtsbezeichnung „Scheepvaartmeester I“ lautet. Zum Ausgleich der Liegeplatzgebühren verabreden wir uns etwas später im städtischen Hafenkontor, wenngleich man auch an Automaten bezahlen kann. Bei herrlichem Wetter und etwas Wind legen wir vormittags in Haarlem ab und machen einen Kurzbesuch im Hafenkontor, an Backbord gleich hinter der Prinsenbrug. Die Mannschaft füllt hier 200 Liter Wasser nach und es bleibt noch Zeit für ein kleines Schwätzchen mit der sympathischen Hafenmeisterin Jet. Über die sogenannte Binnen-Sparne, vorbei an Haarlemmer Wohnsiedlungen und Industriegeländen, passieren wir schon bald unsere erste Schleuse, die Rijnland-Schleuse in Spaarndam. Bevor geschleust wird, sind 3,50 Euro Gebühr beim Schleusenpersonal zu entrichten. Der Höhenunterschied zum vorausliegenden Nordseekanal beträgt keine 20 Zentimeter. Als wir um 13.00 Uhr steuerbords in den breiten Nordseekanal in Richtung Amsterdam einbiegen, weht uns der Duft der großen weiten Welt entgegen….
Tag 3, Amsterdam-Volendam / 35 km, 1 Schleuse
Nach nächtlichem Starkregen und Sturm verschieben wir unsere Abfahrt nach Volendam und legen erst mittags ab. Mit etwa 12 km/h bewegen wir uns jetzt am Central-Bahnhof vorbei zügig über die viel befahrene IJ in Richtung Schleuse zur Buiten IJ und dem Markermeer. Die Schleuse ist schnell passiert, und sogleich liegt offenes Wasser, sechsmal größer als die Müritz, vor uns. Der achterliche Wind kommt von Südwest mit 4 bis 5 Bft., die Luft hat 13 Grad und es ist bewölkt. Unsere „Perfect Storm“ liegt wie ein Brett auf dem Wasser, die Kabinenheizung sorgt für wohlige Wärme. Das Fort Pampus lassen wir weitab steuerbords liegen und nehmen Kurs auf den Leuchtturm der Insel Marken. Ein kleiner Tupfer Sonne gestattet ein Turm-Foto während der Vorbeifahrt und bald kommt das holländische Käse-Revier Edam-Volendam in Sicht. Statt der Marina Volendam wählen wir den kleineren und charmanten Gemeindehafen und lassen uns zuvor bei Hafenmeister Veermann per Telefon einweisen…
Tag 4, Volendam-Fort Pampus-Amsterdam / 40 km, 1 Schleuse
Die Nacht brachte Wind bis zu 7 Bft. und die Temperatur ging bis auf 9 Grad herunter – es wurde merklich kühler. Beim Ablegen pfeift der Wind noch mit guten 4 Bft. und der Himmel zeigt sich bewölkt. Auf der Fahrt nach Amsterdam über das Markermeer dreht der Wind auf West, so dass wir heftige Querwellen bekommen. Wir nehmen geraden Kurs auf das Fort Pampus, das als Teil der sogenannten „Neuen Holländischen Wasserlinie“ zu einer Verteidigungsanlage aus 30 Festungen gehörte. Wieder dreht der Wind und kommt uns nun mit guten 5 Beaufort entgegen. Gischt schlägt über den Bug. Um 13.30 Uhr legen wir auf Pampus an und genießen das einzigartige Flair der alten Festungsanlage, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg im Jahre 1870 gebaut und 1895 fertiggestellt, aber praktisch nie benötigt wurde. Das Fort im IJ-Meer steht auf 4.000 Pfählen von jeweils 11 Metern Länge. Es ist von einem Unterwasser-Steinwall umgeben, weshalb man die Anlegestelle in respektvollem Abstand von etwa 100 Metern nur von Süden her ansteuern sollte. Nach dem Mittagessen verlassen wir die kleine Insel wieder und steuern bei ordentlicher Welle direkt auf die IJ und Amsterdam zu. Punkt 16.00 Uhr lassen wir die Oranjeschleuse hinter uns und machen 45 Minuten später wieder in der Amsterdam-Marina fest. Nach einem gemütlichen Abend an Bord und beschließen wir, am nächsten Morgen zeitiger aufzubrechen …
Tag 5, Amsterdam – Alphen aan den Rijn / 50 km, 2 Schleusen, 5 Brücken
Unter Berücksichtigung des regen Schiffsverkehrs in Amsterdam legen wir um halb neun ab und sind erstaunt, wie dicht der Verkehr bereits zu dieser „frühen“ Zeit ist. Wir wollen heute durch Amsterdam über die Amstel nach Alphen aan den Rijn. Gleich hinter dem Central-Bahnhof und noch vor dem weithin sichtbaren Mövenpick-Hotel geht es steuerbords in die Oosterdok, wo man nach den beiden Grachten Oudechans und Zwaneburegwal, vorbei am Rembrandt-Museum und der Stadtverwaltung, direkt auf die innerstädtische Amstel stößt. Diese Durchfahrt ist am morgigen Königstag verboten und genau deshalb müssen wir hier heute durch. Die Amstelschleuse ist meistens offen, und so liegt schon um 9.45 Uhr das Stadtzentrum nebst Bankenviertel hinter uns. Das Gefühl, ein Stück Amsterdam auf „geliehenem Kiel“ selbst zu befahren, ist unbeschreiblich schön. Vorbei an noblen Villen und schicken Anwesen genießen wir die Fahrt auf der Amstel, die auch einer Biersorte ihren Namen gab. Es folgen malerische Orte wie Ouderkerk, Uithoorn und Amstelhoek mit unzähligen Gärtnereien und Blumenfeldern, bevor wir hinter der kleinen Tolhuis-Schleuse rechts in die sogenannte Drecht abbiegen. Das idyllische Fahrwasser hat Spreewald-Charakter und das kleine Bilderbuch-Örtchen Bilderdam mit seiner Miniatur- Zugbrücke entzückt. Nun passieren wir den Ort Leimuiden, schippern über das Brassemermeer in Richtung Alphen, wo wir gegen 15.00 Uhr im Hafen der Wassersportvereinigung Alphen festmachen. Hier sei die schmale und bei starkem Wind etwas knifflige Hafeneinfahrt mit Sperrgitter und kleiner Zugbrücke erwähnt, die jeweils sofort vom diensthabenden und ehrenamtlichen WSV-Personal freundlichst geöffnet wird…
Tag 6, Alphen – Leiden – Warmond / 21 km, 5 Brücken
27. April, Koningsdag! Heute hat König Willem-Alexander Geburtstag und der junge König wird 51 Jahre alt. Für die Niederländer, die ihre Königliche Familie verehren, ist das ein Feiertag und tatsächlich auch ein Grund zum Feiern. Wir legen bei schönstem Wetter in Alphen ab und nehmen den Weg zur Universitätsstadt Leiden, deren Hochschule die älteste des Landes ist und in deren Botanischem Garten 1590 die Tulpe in Westeuropa eingeführt wurde. Nach kurzer Suche finden wir einen Liegeplatz und grübeln, wo denn hier die Festivitäten stattfinden könnten. Ein 2,5 km langer Spaziergang führt uns ins idyllisch-malerische Stadtzentrum und bald ist Gaudi zu hören. Die Stadt ist voller Leute, die bei Bier und Musik ausgelassen feiern. Bierseliges Partyvolk zieht in Schaluppen eine feuchtfröhliche Bahn durch die Grachten, ohne dass ihnen die Exekutive den Spaß am Feiern verdirbt. Für einen Moment kommt es mir so vor, als wäre Deutschland ein Spaß-befreites Land. Wir sind begeistert und mischen uns unter die freundliche, friedliebende und weltoffene Menge. Es ist Königstag! Weil die Gefahr droht, im feucht-bunten Trubel „zu versacken“, machen wir uns auf den Rückweg zur Basis in Warmond, wo wir am späten Nachmittag wieder am Steg von Olympia Charters anlegen. Hinter uns liegen sechs erlebnisreiche Tage und knapp 200 Kilometer Strecke. Wir sind uns einig, dass uns der Törn viele verschiedene Facetten von Holland gezeigt hat. Schön war’s!