TEST CRANCHI E26 CLASSIC
Daycruiser-Schmuckstück
Einstiegsmodell in die noble Welt der Cranchi-Yachten ist die Cranchi E26, die es in zwei attraktiven Ausführungen gibt. Ich war mit der „Classic“-Variante auf dem Wasser…
Die Familie Cranchi aus dem norditalienischen Piantedo in der Lombardei feierte dieses Jahr ihr 150-jähriges Jubiläum und blickt auf eine bewegte Firmengeschichte zurück. Derzeit fertigt das Vorzeige-Unternehmen mit allerhöchstem Automatisierungsgrad an vier Standorten 17 Modelle in Längen zwischen 26 und 78 Fuß und kommt dabei bis heute ohne Fremdkapital aus, was den Betrieb unabhängig von Investoren macht. Für das Rumpfdesign der feinen Boote zeichnet Aldo Cranchi, ein Enkel des Firmengründers, verantwortlich. Kooperationen des werfteigenen Cranchi-Entwicklungsstudios mit dem renommierten Yacht-Architekten Christian Grande machen die Cranchi-Entwürfe zu edlen Design-Objekten. Im hauseigenen Marine-Test-Center in San Giorgio di Nogaro in der Nähe von Venedig können Interessenten nach Anmeldung ganzjährig ihr Wunschobjekt in Augenschein nehmen und auch Probe fahren.
Die Cranchi E26 Classic des Werderaner Händlers „Kielwasser – Feine Boote“ erwartet uns an einem Steg der Marina Vulkan im brandenburgischen Werder an der Havel. Im Gegensatz zu ihrem Pendant namens „Rider“, das mit offenem Vordercockpit und Außenbord-Motorisierung eher als sportiver Tender fungiert, ist die Innenbord-motorisierte „Classic“ als Daycruiser zu betrachten. Es liegt in der Natur der Sache, dass italienische Designer und Bootsbauer ihre Produkte stets mit Superlativen schmücken und so wollen wir uns der auf dem Cannes Yachting Festival im Spätsommer 2018 vorgestellten E26 unvoreingenommen nähern. Das schmuckes Retro-Designstück erinnert mit klarer Formensprache an klassische Runabouts aus den 60er-Jahren. Markante Details des wie aus einem Guss wirkenden Bootes sind zwei bis zu den Handläufen der breiten Heck-Sonnenliege reichende Seitenscheiben, ein gerader Bugsteven und zwei schmale, lange und getönte Seitenscheiben innerhalb der oberen Bordwände. Der Weg ins Cockpit erfolgt über die Badeplattform und ein 25 cm breites Laufdeck, welches in die 160 x 200 cm große Heck-Sonnenliege eingelassen ist. Diese nimmt wiederum die gesamte Bootsbreite ein. Es gibt also keinen der üblichen Heckdurchgänge, was den Zutritt „sportlich“ macht. Die Badeleiter lässt sich bequem unter der Badeplattform herausziehen und ist somit nirgendwo störend im Wege. Unter der Sonnenliege, die sich per Elektromotor öffnen lässt, befindet sich der aufgeräumte Motorraum, in dem im Testboot ein 350 PS starker Volvo Penta-Benziner mit Aquamatic-Heckantrieb seine Arbeit verrichtet.
Bestens aufgehoben fühlt man sich im 210 cm breiten und 230 cm langen Cockpit der Cranchi E26 Classic, dessen bequemes Interieur viel Platz zum Wohlfühlen bietet. Hervorzuheben sind hier neben der 195 cm breiten L-Sitzbank mit darunter liegendem Stauraum die beiden weich gepolsterten Skipper- und Beifahrer-Sitze. Wer den Fahrersitz elektrisch verstellbar ordern möchte, der muss für dieses Extra 3.296 Euro anlegen. Gute Dienste leisten auch die beiden bis zu 190 cm langen Seitenfächer, die allerhand Utensilien aufnehmen können. Dass beim Test ein Kugelschreiber unter eines dieser Fächer rollte und für immer unter dem teakbelegten Vordeck verschwand, sei hier nicht verschwiegen. Der erstklassig gestylte Steuerstand mit 60 cm langer und 18 cm breiter Armauflage, dicken Polsterungen und bester Bedien- und Sichtbarkeit der Instrumente ist die helle Freude. Eine 210 cm breite Frontscheibe hält den Wind weitgehend von der Frisur fern. Ein 56 cm breiter Durchstieg macht über zwei Tritte den Weg zum Vordeck frei, das mit 190 cm langer Liegemöglichkeit von einem Passagier zum Sonnenbad genutzt werden könnte. Weniger trittfesten Skippern sei hier eine elektrische Ankerinstallation empfohlen, die es im Paket mit Anker und Kette ab 2.838 Euro gibt. Ein weiteres interessantes Detail der Cranchi E26 Classic, das vor allem einer Verletzungsgefahr vorbeugen soll, finden wir am 75 cm hohen Einstieg zur Bugkabine. Damit man sich nicht den Kopf stößt, wurde der „Türfirst“ dick gepolstert. Daran könnten sich einige Hersteller durchaus ein Beispiel nehmen. Die Bugkabine mit etwa 130 cm Deckenhöhe und einer Grundfläche von 200 x 200 cm ist eher als Bedarfskabine gedacht und kaum wochenendtauglich. Es gibt einen optionalen 42-l-Kühlschrank zu 1.130 Euro, zwei je 62 cm breite Seitenliegen und eine Dachluke. Interessant ist die Möglichkeit einer elektrischen Marine-Toilette für 2.159 Euro mit ebenso optionalen Schmutzwassertank. Es ist prima, dass es ein komfortables WC an Bord gibt. Doch dass es quasi ohne jegliche Abdeckung frei in der Kabine steht, lässt jeden Ästheten die Nase rümpfen. Selbst als Kompromisslösung steht dieses Untergrund-Ensemble etwas im Widerspruch zum edlen Design des Cockpits. Auf jeden Fall sorgt das WC für mehr Komfort an Bord, und das beruhigt …
Auf dem Wasser verhält sich der nach der CE-Norm B zertifizierte und rund drei Tonnen schwere Kunststoff-Gleiter erwartungsgemäß hervorragend. Die Kanalfahrtgeschwindigkeit von 6,5 Knoten ist bei 1.500 min-1 erreicht. Die Gleitgrenze erleben wir bei unserem Testboot bei knapp 2.800 min-1 und nun anliegenden 14 Knoten. Die Marschgeschwindigkeit ist zwischen 25 und 26 Knoten anzusiedeln, wobei die drehmomentstarke Volvo V8-350-CE/G (5.3) DP-S V8-Maschine dann etwa 40 Liter Benzin pro Stunde verköstigt. Bei diesem Cruising Speed verspricht die Werft eine Reichweite von 169 Seemeilen oder sieben Stunden. Unsere Höchstgeschwindigkeit erreichen wir bei 5.850 min-1 und 40,5 Knoten (75 km/h), wobei man dann am Steuerstand bei umgerechnet 75 km/h eine Geräuschentwicklung von 96 dB(A) in Kauf nehmen muss. Das sportlich-sichere Fahrverhalten der Cranchi E26 Classic macht süchtig. Der Nobel-Flitzer aus Bella Italia läuft kursstabil, steckt Wellenkämme sanft weg, reagiert auf Rudereinschläge direkt und lässt sich dank Servolenkung butterweich steuern. In scharfer Kurvenfahrt legt sich der Rumpf weder grenzwertig auf die Seite, noch verlässt den Skipper das Sicherheitsgefühl. Auch die Beschleunigung lässt keine Fragen offen. In nur 4,3 Sekunden ist die Gleitfahrt erreicht. Die vorbildlichen Laufeigenschaften machen das Boot zum idealen Gefährt für offene Binnen- und Küstenreviere. Die E26 will schnell gefahren werden und sehnt sich nach Gewässern ohne Geschwindigkeitslimit. Ein Bugstrahler zum Preis von 3.168 Euro komplettiert die technische Ausstattung und erleichtert das Manövrieren in der Marina.
Die als aufwendiges Handlaminat gefertigte und mit kräftigen Zugfahrzeugen sogar noch trailerbare Cranchi E26 Classic hinterlässt im Praxistest einen sehr überzeugenden Eindruck. Der Einstiegspreis von 112.812 Euro ist zwar kein Pappenstiel, aber angesichts der soliden Verarbeitungsqualität und des hervorragenden Fahrverhaltens akzeptabel. Wer über den Standard hinausgehenden Komfort wünscht und das entsprechende Zubehör ordert, der überschreitet leicht die 150.000-Euro-Grenze.