TEST SAY 29 E RUNABOUT CARBON
Stromboot für Fortgeschrittene
Mit der Vorstellung der SAY 29E Runabout Carbon aus Wangen im Allgäu, zogen leistungsstarke Elektro-Antriebe in den Wassersport ein. Das derzeit schnellste Elektroboot der Welt sorgt für ein ultimatives Geschwindigkeitserlebnis.
Dass die Ideen deutscher Erfinder und deren Ingenieurskunst die Welt verändern, ist nicht erst seit Rudolf Diesel, Otto Lilienthal oder Manfred von Ardenne bekannt. Und so wie jede Epoche ihre Erfinder hervorbringt, so tüftelt und arbeitet auch in Wangen im Allgäu ein Team um die Ingenieure Karl Wagner und Dieter Graftl an komplexen Fortbewegungstechnologien der Zukunft. Ihr Metier sind leichte Supersport-Yachten wie die Say 29E Runabout Carbon mit unverkennbarer Rennsport-DNA. Deshalb steht der Firmenname „SAY“ für „Speed Art Yacht“.
2006 vom passionierten Bootsbauer Sven Ackermann gegründet, entwickelte SAY zunächst auf Leistung getrimmte Jollen und Katamarane, die schon bald die Fachwelt begeistern. 2012 beginnt man den ultraleichten Werkstoff Carbon erstmals für den Bau von Motoryachten einzusetzen. In dieser Zeit wird der Hightech-Ingenieur Karl Wagner auf SAY aufmerksam, der Gründer von Carbo Tech, dem weltweit führenden Carbon-Unternehmen im Straßenrennsport, der Formel 1 und der Luftfahrt. 2015 übernimmt Wagner SAY und baut eine Werft in Wangen im Allgäu, die einem exklusiven Design-Atelier ähnelt. Sein Ziel ist die Entwicklung schneller und leichtgewichtiger Carbon-Yachten wie die SAY 29E Runabout Carbon. Ein Team um Konstrukteur Dieter Graftl entwickelt einen scharf aufgekimmten Rumpf mit charakteristisch-steilem Wavecutter, der mühelos durch das Wasser schneidet. Werden mit den außergewöhnlichen Yachten mittels hochleistungsfähiger Verbrennungsmotoren Spitzengeschwindigkeiten bis 70 Knoten erreicht, so überraschte SAY 2018 mit dem als Serienmodell geplanten und zugleich schnellsten E-Boot der Welt. In Zusammenarbeit mit der auf die Entwicklung von innovativer E-Mobilität spezialisierten österreichischen Firma Kreisel-Electric entsteht die SAY29E Runabout Carbon, die bei einer Spitzenleistung von 360 kW einen Topspeed von 50 Knoten (93 km/h) erreicht.
Äußerlich ist die SAY29E Runabout Carbon zunächst kaum von ihren mit leistungsstarken Verbrennern angetriebenen Schwesterschiffen zu unterscheiden. Der nur 400 kg schwere Deep-V-Rumpf mit dem vorab erwähnten Wellenschneider-Bug und einer markanten flügelartigen Ausformung am Heck versprüht Exklusivität. Dabei wirkt das Boot in Ruhelage instabil, reagiert sofort auf Gewichtsverlagerungen. In Fahrt erweist sich das extravagante Unterwasserschiff-Layout jedoch als genialer Entwurf. Cockpit und Bugsektion der SAY29E unterscheiden sich nicht von der SAY29 Runabout Carbon, deren Produktion auf 29 Einheiten limitiert ist. Über eine 110 cm tiefe Heckplattform mit 50 cm breiten Durchgang gelangt ins 195 x 140 cm große teakbelegte Cockpit, um auf zwei gefederten Ullman-Daytona-Einzelsitzen Platz zu nehmen. Der bereits in der Basisversion mit einem 16-Zoll-Garmin-Plotter ausgestattete Steuerstand lässt jedoch die bei Verbrennungsmotoren üblichen Instrumente vermissen und verrät über den andersartigen „Gashebel“, ein Tastenfeld und das kleine Batterie-Ladezustand-Display den bereits vermuteten Elektro-Antrieb. Die abschließbare Bugsektion beherbergt bei einer Kabineneinstiegshöhe von 110 cm eine 250 cm lange und bis zu 130 cm breite Bedarfskoje, die für zwei Personen durchaus als wochenendtauglich gelten kann und standardmäßig mit einer Chemie-Toilette aufwartet. Die sportliche Erreichbarkeit des Bugs unterstreicht den eher spartanischen Charakter eines auf schiere Performance getrimmten Powerbootes. Eine 200 x 150 cm große Sonnenliege auf der Abdeckung des Maschinenraumes auf dem Achterdeck und ein 36-l-Kühlfach in der Dreier-Sitzbank mit Schapp hinter den Einzelsitzen ergänzen den knappen, aber immerhin vorhandenen Komfort.
Gehen wir ans Eingemachte und sehen uns Antriebstechnik und Fahreigenschaften an. Das Herz des Renners ist ein zur Serienreife entwickeltes Kreisel-Electric-Antriebssystem, das es quasi kongenial in den Rumpf einzupflanzen galt. Die flüssigkeitsgekühlte Batterie stellt eine Kapazität von 120 kWh zur Verfügung. Zwei hintereinander auf eine Welle geflanschte und aus der Schweiz stammende BRUSA-Elektromotoren vom Typ HSM1-10.18.13 mit jeweils 180 kW sorgen für die Leistungsübertragung auf einen US-amerikanischen Konrad-Z-Antrieb. Vom Typ 560 Duoprop. Bei vollem Schub von 360 kW und annähernd 500 PS erreicht das Gefährt mit diesem Antriebspaket bis zu 50 Knoten, also 93 km/h. Damit kann das Boot zwar nicht mit den alternativ verfügbaren V8-Benzinern mithalten, doch es stellt die derzeitige Spitze der Elektromotorisierung auf dem Wasser da. Gleitet das Boot in Schleichfahrt fast geräuschlos durchs Wasser, so wird die ansatzlose Beschleunigung mit hohem Drehmoment durch ein Pfeifen der Antriebe hörbar. Insgesamt stehen drei verschiedene Fahrmodi zur Verfügung. Ein am Steuerstand montiertes Display aus gebürstetem Aluminium sorgt mittels dreier Knöpfchen für Fahrspaß und Begeisterung. Dabei ist „Harbour“ für Schleichfahrt im Hafen, „Sport“ für den normalen Fahrbetrieb und „Insane“ („Wahnsinn“) für den ultimativen Speed-Kick gedacht. Nachdem diese Taste für zwei Sekunden gedrückt wurde, steht am Gashebel die maximale Leistung von bis zu 360 kW zur Verfügung. In diesem Modus beschleunigt das Boot mit einer Kraft, die einem Rennboot alle Ehre macht. Für Geschwindigkeitsfreaks besteht Suchtgefahr. Jedoch ist das Vergnügen kurz, denn nach 30 Sekunden schaltet das System in den Normalmodus „Sport“ zurück, damit es nicht zu Antriebs- Überhitzungen kommt und die Batterie-Kapazität geschont wird. Und so wie die pure Antriebskraft überraschen auch die hervorragenden Laufeigenschaften des ausgeklügelten Rumpfes, der nicht in Wellentälern versackt und mit absoluter Spurtreue seine Bahnen zieht. Die Gleitschwelle wird bei etwa 2200 min-1 und damit verbundenen 16 Knoten überwunden. Als Marschgeschwindigkeit sind 20 Knoten anzusetzen, mit denen eine Batterieladung der SAY29E Runabout Carbon eine Reichweite von 27,7 Seemeilen, also 51 Kilometern zulässt. Im Modus „Sport“ können bis zu 33 Knoten erreicht werden. Wer schneller hinaus will, muss den „Wahnsinn“-Modus nutzen. Einen besonderen Eindruck hinterlässt das Kurvenverhalten des Bootes. Chefentwickler Karl Wagner meint: „Du kannst voll in die Kurven gehen!“ Gesagt, getan und schon legt sich der Flitzer bei über 30 Knoten auf die Seite, presst sich ohne Versatz in jeden erzwungenen Kurs und die Besatzung in die Sitze. Dabei verhindert die über den Rumpf hinausragende breite Funktions-Badeplattform eine weitere Krängung des Bootes, so wie sie auch einem steilen Anstieg des Bugs beim Start und in der Beschleunigungsphase entgegentritt.
Mit der 8,85 m langen SAY29E Runabout Carbon erwerben Motorboot-Enthusiasten ein exklusives Funboat, dessen technische und optische Einzigartigkeit sich auch im exorbitanten Preis von 415.310 Euro niederschlägt. Ökologisch „grüne“ Aspekte stehen nicht im Vordergrund, sondern eher der „leise“ und somit ganz spezielle Fahrspaß. Dass der 2,78 m breite und knapp zwei Tonnen schwere Flitzer mit einer Sondergenehmigung per Trailer transportiert und auf Gewässern mit Verbot für Verbrennungsmotoren bewegt werden darf, ist eine zusätzliches Kaufargument. Auf jeden Fall ist der bayerische Carbon-Renner ein Blickfang und sicherlich auch ein Statussymbol. Alle aktuellen SAY-Modelle von 29 bis 45 Fuß sind zudem mit individuellen Innenbord-Motorisierungen bis zu 900 kW (1.250 PS) bestellbar und garantieren ultimatives Fahrvergnügen.