REISEREPORT DIE MECKLENBURGISCHE KLEINSEENPLATTE
Teil 1: Wasserwandern zwischen Müritz und Rheinsberg
Die Mecklenburgische Kleinseenplatte zwischen Müritz und Rheinsberg gehört zu den beliebtesten Wassersport-Regionen Deutschlands und ist im Sommer buchstäblich übervölkert. Deshalb gingen wir am Saisonende auf Tour …
Das Revier erstreckt sich vom südlichen Ausläufer der Müritz bis ins brandenburgische Rheinsberg im Süden, das ebenso brandenburgische Fürstenberg im Osten und der mecklenburgischen Residenzstadt Neustrelitz im Norden. Das gern als „Land der 1.000 Seen“ bezeichnete Gebiet wird von der Havel, deren Quelle sich am östlichen Rande des Müritz-Nationalparks zwischen Kratzeburg, Ankershagen und Klein Vielen befindet, gespeist. Seit der Ansiedlung zahlreicher Charterbetriebe zu Beginn der 1990er-Jahre avancierte das führerscheinfrei zu befahrende Gewässerlabyrinth zu einer Hochburg des Wassertourismus. Es entstanden neue Häfen, Marinas, Ferienwohnungen, Hotels und eine touristische Infrastruktur, die alle Urlaubsbedürfnisse abdeckt. So ist es kein Wunder, dass gerade im Sommer immer mehr Menschen in dieser Idylle Erholung suchen und nicht nur Charterboote mittlerweile lange im Voraus gebucht werden müssen. Aus einem in der ehemaligen DDR noch weitgehend unberührtem Landstrich ist ein attraktives Urlaubsziel mit unzähligen Geheimtipps, restaurierten Dörfern, Städten und Sehenswürdigkeiten geworden.
Die nördlichste Grenze der Mecklenburgischen Kleinseenplatte markiert die Stadt Neustrelitz, die Großherzog Adolf Friedrich III. von Mecklenburg-Strelitz um 1733 als Residenzstadt erbauen ließ. Eingebettet in die reizvolle Seenplatten-Landschaft und direkt am Zierker See gelegen, gab es zu DDR-Zeiten in der damaligen Kreisstadt des Bezirkes Neubrandenburg nur wenig zu versäumen. Als Garnisonsstadt mit Panzerdivision und Flak-Regiment lebten hier bis zu 25.000 Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, die bis zu deren Abzug im Jahre 1993 auch das öffentliche Leben prägten. Heute hat sich Neustrelitz zu einer neu erblühten und attraktiven 20.000-Einwohner-Stadt gemausert, die nicht nur in jedem Sommer zahlreiche Touristen- und Urlauber anzieht. Das barocke Antlitz der ehemaligen Residenzstadt mecklenburgischer Herzöge hatte nach Krieg, Zerstörung und Bränden gelitten. Blieb der historische Stadtkern noch weitgehend verschont, so traf es das einstige Residenzschloss der Stadt härter. Den Dachstuhl in Brand geschossen, fiel das um 1731 erbaute Schloss den Flammen zum Opfer. Mit der Sprengung und Beseitigung der Ruinen im Jahr 1949 wurde die herzogliche Residenz aus dem Stadtplan getilgt.
Den östlichsten Punkt der Mecklenburgischen Kleinseenplatte bezeichnet die noch im Norden Brandenburgs und im Landkreis Oberhavel liegende Stadt Fürstenberg, die im Jahr 1701 Teil von Mecklenburg-Strelitz wurde und eine ebenso wechselvolle Geschichte durchlebte. 1945 besetzte die Rote Armee den Ort, der damals etwa 5.000 Einwohner hatte und zu dessen düstersten Kapiteln das von den Nazis errichtete Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück am Schwedtsee gehörte. Bis zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte nach 1990 prägten mehrere Tausend sowjetische Soldaten, Offiziere und ihre Angehörigen das Bild der Garnisonsstadt Fürstenberg und wurden mit ihrer Kaufkraft zu einem Wirtschaftsfaktor. Deshalb sah man ihren Abzug nach 1990 mit gemischten Gefühlen und der Ort wirkte plötzlich wie ausgestorben. Dennoch sei hier an die Fürstenberger Nachkriegsjahre erinnert, denn lange versuchten DDR-Funktionäre diese Erinnerungen zu tilgen. Gleich nach dem Krieg wurden Villensiedlungen wie die am Röblinsee von der damaligen Roten Armee für Offiziere beschlagnahmt und zum Sperrgebiet erklärt. Viele Familien mussten damals innerhalb von 24 Stunden ihre Häuser verlassen und es sollen sich dramatische Szenen abgespielt haben. Auf dem 50 Hektar großen ehemaligen Sicherheitspolizei-Schulgelände der Gestapo an der Bundesstraße B96 in Fürstenberg-Drögen bezog die Rote Armee Stellung und errichtete dort später eine Kleinstadt mit Schule, Kulturhaus, Kaufhalle und Wohnblöcken, die nach der Wende jedoch dem Erdboden gleich gemacht und mit Birken bepflanzt wurde. Am Röblinsee hingegen wurden die einst konfiszierten Villen meist rückübertragen und sind heute liebevoll und aufwendig saniert. Am See befinden sich mehrere Charterbasen und auch für Wasserwanderer ist Fürstenberg ein beliebter Startpunkt für Touren in die Mecklenburgische Kleinseenplatte.
Ihre südliche Begrenzung findet die Mecklenburgische Kleinseenplatte am Grienericksee in Rheinsberg, das im Landkreis Ostprignitz-Ruppin liegend ebenfalls noch zu Brandenburg gehört. Bekannt wurde der Ort vor allem durch Bücher von Kurt Tucholsky und Theodor Fontane, sowie dem Geschlecht der Hohenzollern. So ließ der „Alte Fritz“, Friedrich der Große (1712-1786), das väterliche Schloss nach einem Brand später als Residenzschloss wieder aufbauen und der Bau soll zugleich als Vorlage für Potsdam-Sanssouci gedient haben. Nachdem Friedrich II. der 1772 König von Preußen geworden war, übernahm sein Bruder Heinrich das Anwesen und bewohnte es bis 1802. Der malerische kleine Ort wartet heute mit einer Reihe von Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen auf. Hier seien die Rheinsberger Musikakademie, die Kammeroper und das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum genannt. Nur etwa 80 Kilometer von Berlin entfernt, herrscht hier im Sommer nicht nur an Wochenenden Hochbetrieb.
Für viele Charterfirmen, Restaurants, Kneipen und Campingplätze brach die Corona-Saison 2020 alle bisherigen Rekorde! Da Auslandsreisen reglementiert und unattraktiv wurden, gab es einen unvorstellbaren Ansturm auf Inlandsreiseziele wie die Mecklenburgische Kleinseenplatte. Und konnte die Saison mit Corona-Verspätung erst Ende Mai 2020 starten, so überschlugen sich bis zum Saisonende am 31. Oktober die Buchungszahlen. Freie Charterboote waren praktisch bis zum letzten Tag nicht mehr zu bekommen. Auf Grund des Ansturms wurde die Saison verlängert und viele Boote blieben im Wasser. So konnten wir unsere Tour erst auf den allerletzten Drücker in der Woche vor dem Saisonende starten. Dabei genossen wir die Einsamkeit auf nun fast menschenleeren Gewässern der Mecklenburgischen Seenplatte und wurden wegen Corona doch wieder zu einer Routenänderung gezwungen. Mitte Oktober verfügte das Amt Neustrelitz-Land eine neue Corona-Verordnung und so mussten der Stadthafen Neustrelitz sowie alle anderen Häfen, Vereine und Caravanplätze am Zierker See schließen. Damit fiel für uns Neustrelitz auf dieser Tour in die Mecklenburgische Kleinseenplatte ins Wasser und auch Fürstenberg war ab 26. Oktober von Norden her nicht mehr erreichbar, denn die Schleuse Steinhavel wurde wegen Bauarbeiten gesperrt. Nun war an unserem Reise-Ausgangspunkt, der Charterbasis von Yachtcharter Römer in der Marina Claassee bei Rechlin an der Müritz, guter Rat teuer. Und da wir ja quasi auf Dienstreise mit knappen Zeitbudget waren, wurde schnell klar, dass es nach Rheinsberg und nach Priepert gehen würde. So lagen insgesamt 110 Kilometer Fahrt durch eine traumhafte und spätherbstliche deutsche Bilderbuchlandschaft vor uns. Wir, das sind meine bewährten Törnmitstreiter Jan und Marina vom Motorbootclub Großer Lychensee und ich.
Montag, 26. Oktober 2020, Kuhnle-Marina-Claassee an der Müritz
Der Herbst zeigt sich von seiner unfreundlichen Seite, als wir bei strömenden Regen zur Übernahme unseres Charterbootes an der Marina Claassee am südlichen Ende der Müritz eintreffen. Die „My Judda“, eine 12,40 m lange und 4,10 m breite Gruno 38 Classic von Yachtcharter Römer, liegt an der Pier vertäut und wartet auf uns. Der graue Regentag wirkt wenig inspirierend und auch die Übergabe zieht sich ein wenig hin. Wir beschließen im Kuhnle-Hafenrestaurant unter Corona-Beschränkungen zu speisen und werden mit einem leckeren Schnitzel belohnt. Als Verdauungsspaziergang unterm Regenschirm empfiehlt sich ein Besuch des naheliegenden Luftfahrttechnischen Museums Rechlin, der unbedingt zu empfehlen ist. Mit der Einweihung der „Fliegerversuchs- und Lehranstalt am Müritzsee“ im August 1918 schrieb der im Süden des Sees gelegene Ort Rechlin Geschichte und gehört mit seinen Hinterlassenschaften heute zu den wichtigsten militärhistorischen Zeugnissen des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Auch der Schauspieler Heinz Rühmann besuchte hier einst einen Fliegerlehrgang. Das Museum befindet sich in einem historischen Teil der Erprobungsstelle der Luftwaffe des III. Reiches – Gruppe Nord, das bis zum Rückzug der sowjetischen Streitkräfte Sperrgebiet war. Die hier ausgestellten Exponate sind einzigartige Zeugnisse deutscher Luftfahrt- und Militärgeschichte und deren Ingenieurskunst. Einen weiteren interessanten Teil des Museums nimmt die Geschichte der angrenzenden Schiffswerft Rechlin ein, auf der zu DDR-Zeiten Rettungsboote und Schiffe gebaut wurden. Heute kann man hier seltene Einzelstücke von Motorbooten aus DDR-Produktion bestaunen. Da Corona unseren Bewegungsradius urplötzlich eingeschränkt hat, es im Herbst zeitiger dunkel wird und es immer noch in Strömen regnet, beschließen wir, die erste Nacht an Bord noch in der Müritz-Marina zu verbringen, bevor wir in die Mecklenburgische Kleinseenplatte aufbrechen.
Dienstag, 27. Oktober, Marina-Claassee
Die Schleusenbetriebszeiten Mecklenburgs im Hinterkopf, legen wir bei mittlerweile schönem Wetter gegen 8.30 Uhr in der Marina ab. Nach der Hafenausfahrt hinter dem Hafendorf Müritz biegen wir noch vor der Mündungstonne Claassee scharf nach Backbord ab und laufen bei Zielow ins Fahrwasser ein. Zur Navigation benutzen wir die Kartenwerft-App auf einem Smartphone und das am Steuerstand fest installierte Raymarine-Log. Eigentlich gibt es außer der rot-grünen Betonnung nicht viel zu beachten, von der Wasserscheide inmitten der Kleinen Müritz gegenüber des Yachthafens Rechlin mal abgesehen. Hier ändert sich die Fließrichtung, und nach Süden geht es nun bergab. Es ist in jedem Fall ratsam, möglichst brav im Fahrwasser zu bleiben und keine unnötigen Grundberührungen zu provozieren. Gerade niedrige Wasserstände, auch jetzt fehlen immer noch gute 40 cm, sollte man im Hinterkopf haben. Außer ein paar Anglern ist an diesem taufrischen Morgen niemand auf dem Wasser und das fühlt sich gut an. Nach der Wasserscheide geht es auf der Müritz-Havel-Wasserstraße (MHW) in den 9,5 km langen Mirower Kanal. Dieser wurde im Zuge der Luftwaffen-Erprobungsstelle zwischen 1935/36 in einer atemberaubend kurzen Bauzeit gebaut und sorgt für eine schnelle Verbindung zwischen der Müritz und Mirow, wo wir kurz darauf unsere erste Schleuse dieser Tour ohne Wartezeit und allein in der Schleusenkammer passieren. Wir lassen den Mirower See und die Schlossinsel backbords liegen, heben uns den Besuch dieses bezaubernden Kleinods für die Rückfahrt auf. Mit gemütlichen 10 km/h geht es über den Zotzensee, vorbei am Naturcampingplatz Mössensee über den Vilzsee nach Fleeth. Auf dem Vilzsee gibt es ein gut gekennzeichnetes Sperrgebiet, welches man jedoch statt zu umfahren auch steuerbords liegen lassen kann, wenn man sich backbords dicht an die grüne Tonne hält. Vorbei an der Einfahrt zu sogenannten Oberbek, einem nur mit Paddelbooten passierbaren Arm zum Ferienpark Fleether Mühle, lassen wir den Großen Peetschsee, der eigentlich ziemlich klein ist, steuerbords liegen und nach einer scharfen Kurve stehen wir vor der idyllisch zwischen sanften Waldhügeln gelegenen Schleuse Diemitz im Osten der Mecklenburgischen Kleinseenplatte. Im Sommer eine der hochfrequentierten Schleusen mit langen Wartezeiten, kommen wir genau zur Mittagspause um 12.00 Uhr an und müssen eine halbe Stunde warten. Genügend Zeit, um diesen malerischen Ort zu Fuß zu erkunden. Neben dem Biber-Ferienhof mit Rezeption und kleinem Hofladen gibt es das Restaurant „Scheune“, in dem feine Galloway-Rindersteaks angeboten werden. Der angrenzende Biergarten ist im Sommer ein beliebtes und unterhaltsames Schleusenkino. Im Oktober haben Gastwirtschaft und Hofladen nur von Mittwoch bis Sonntag und von 16.00 bis 21.00 Uhr geöffnet und so muss das Bio-Fleisch leider im Kühlschrank verbleiben. Schnell ist Wartezeit herum und zusammen mit einem weiteren Charterboot und zwei Einer-Kanus geht es zügig durch die Diemitzer Schleuse. Weiter durch den Müritz-Havel-Kanal überqueren wir nun den Labussee mit dem weithin bekannten gleichnamigen Campingplatz am südlichen Ufer, bevor wir in Höhe der Seenfischerei „Obere Havel“ scharf steuerbords in einen Kanal zur Schleuse Canow einfahren. In der Saison ist Canow, das quasi im Herz der Seenplatte liegt, ein Nadelöhr und wegen einiger Restaurants und Kneipen auch ein gut besuchter Hotspot. Die Schleuse liegt etwas unterhalb hinter einer Straßenbrücke und wir kommen nonstop durch. Daran wäre im Sommer nicht zu denken. Auf dem nun vor uns liegenden Canower See folgen wir der steuerbords befindlichen unsichtbaren Landesgrenze zwischen Mecklenburg und Brandenburg und schippern an zahllosen Ferienhäusern vorbei zum Kleinen Pälitzsee, wo auch unser erstes Tagesziel ins Blickfeld kommt. Wir biegen nämlich in Richtung Rheinsberg ab und machen bei Kleinzerlang an einem Steg des beliebten Landhafens „Boot & Mehr“ fest, wo wir die einzigen Charterboot-Gäste sind und die Inhaber den Schlüssel zum Saisonende praktisch schon in der Hand haben. „Ja, kommt vorbei“, klingt es aus dem Telefon. „Wir wollten eigentlich schon zu machen, aber ein paar Kleinigkeiten zu Essen gibt es noch. Wir sind hier!“ Seit 2003 betreiben Karin und Hermann Gautzsch zusammen mit ihrem Sohn Raymond den kleinen Hafen mit Biergarten und uriger Gastwirtschaft. Gleich nebenan befindet sich eine Station des Kanu- und Bootsverleihs Rheinsberger Seenkette. Für viele heimische Skipper ist Boot & Mehr im Sommer längst zu einer Heimatadresse geworden, was auch an den freundlichen und hilfsbereiten Wirtsleuten Karin und Hermann liegen mag. Heute sind Steinpilze im Angebot, die Hermann zielsicher an einem Hang gleich hinter dem roten Hafenhäuschen abschneidet. So, als wäre dort ein Steinpilz-Garten. „Davon sind hier genug da, kein Problem“, zuckt Hermann lachend mit den Schultern und gibt gleich ein paar Pilze in die Pfanne. Die Sonne ist längst verschwunden und morgen geht’s nach Rheinsberg …
Mittwoch, 28. Oktober, Landhafen Boot & Mehr, Kleinzerlang
Bis zur in Brandenburg liegenden Selbstbedienungsschleuse Wolfsbruch sind es keine 150 Meter und schon nach wenigen Minuten stehen wir gegen 9.00 Uhr vor deren Toren. Mit über 35.000 Booten pro Jahr ist Wolfsbruch die wohl meistfrequentierte Schleuse der Mecklenburgische Kleinseenplatte und im Sommer das Nadelöhr schlechthin. Wer von hier aus der benachbarten „Le Boat“-Marina Wolfsbruch mit einem Charterboot startet, der steht je nach Fahrtrichtung in der Regel erstmal im Stau, denn pro Tag wollen hier bis zu 200 Boote durch die 43 m lange und 5,20 m breite Schleuse, deren Hub gerade mal 50 cm beträgt. Wie schön ist es dagegen, im Spätherbst unterwegs zu sein und ganz allein ohne Wartezeit einzufahren! Wir sind begeistert und lassen schon wenige Minuten später die Schleuse und die dahinter liegende Marina mit dem Precise-Resort-Hotel hinter uns. Nun führt der Weg durch den an beiden Ufern bewaldeten Prebelowkanal, lässt den Großen Prebelowsee mit der Jugendherberge und dem Kinder- und Erholungslager Prebelow steuerbords liegen. Inmitten dichter Wälder geht es über den Tietzowsee, vorbei am Strand des Restaurants- und Anleger „Zum Achter“ durch den Hüttenkanal (Jagowkanal) zum Schlabornsee bei Zechlinerhütte. Boote mit einer Durchfahrtshöhe unter 3,50 m können hier einen Abstecher zum malerischen Bikowsee machen, wo es ein bekanntes Naturcamp gibt. Im anschließenden Schlabornkanal wird es interessant, denn die schmale Schlabornbrücke mit 3,90 m Durchfahrtshöhe will passiert werden. Ein Clou ist die Tatsache, dass man den Gegenverkehr nicht sehen kann, da die Brücke in einer Kurve liegt. Dutzende von Farbproben und Schrammen an eisernen Pfeilern zeugen von ärgerlichen Karambolagen. An dieser Stelle sei hier nochmal auf die Durchfahrtshöhe hingewiesen, die man je nach Wasserstand im Auge behalten sollte. Da man den Gegenverkehr nicht sieht – ein Signalton ist gefordert – sollte man sich eine schnellere Durchfahrt zur Höhengewinnung gut überlegen. Nach dem Kanal öffnet sich der Große Rheinsberger See. Die darauf befindliche Insel namens Remus gilt wegen der Ruhe bei einheimischen Skippern als Geheimtipp. Wir umschiffen das grüne Eiland und erblicken am südöstlichen Ufer des Rheinsberger Sees das Boat-City-Hafendorf Rheinsberg mit dem Maritim Hotel. Wahrzeichen der mondänen künstlichen Lagune mit Ferienhaus- und Hafenanlagen ist ein improvisierter Leuchtturm an der Hafeneinfahrt. Hier haben auch einige Charterbetriebe und Bootsverleiher ihre Stationen, gemütliche Ferienhäuser kann man ebenfalls mieten. Hinter dem folgenden Grienerickkanal und dem gleichnamigen See erblicken wir endlich das bereits erwähnte Rheinsberger Schloss. Man kann mit dem Boot direkt bis vor das prunkvolle Gebäude fahren und ist hier am südlichsten Ende der Rheinsberger Seenplatte angelangt. Wir genießen den Augenblick und treten gegen 12.00 Uhr den Rückweg an, denn das eigentliche Tagesziel heißt Priepert. Flüssig passieren wir wieder ohne Wartezeiten die Schleuse Wolfsbruch, winken „Boot & Mehr“ hinterher und verabschieden uns über den Kleinen Pälitzsee aus Brandenburg. Bei etwas Wind, aber traumhaften Wetter geht es in Richtung Osten zur Schleuse Strasen, die wenige Meter hinter einer Brücke und dem Restaurant-Hotel „Zum Löwen“ liegt. Der idyllische Ort samt Schleusenwärterhaus versprüht noch einen Rest von Vorwende-Charme und ich erinnere mich gerne an jene Sommertage, wo ich hier als Jugendlicher mit Mecklenburger Kumpels zur Disko ging …
Schnell und unspektakulär lassen wir die malerisch gelegene Schleusenanlage hinter uns, um nach einem kurzen Kanalstück zum Ellbogensee zu kommen, der diesen Namen trägt, weil er wie ein Ellbogen aussieht und im Herzen der Mecklenburgischen Kleinseenplatte liegt. Neben Ferienhäusern und dem neuen Ferienpark am Ellbogensee hat hier mit Yachtcharter Naumann auch ein kleiner charmanter Charterbetrieb für Hausboote und Stahlyachten seine Stege eingeschlagen. Nach einem Knick kommt das Tagesziel, der Yachthafen Priepert, in Sicht. Gern wären wir weiter bis Wesenberg und Neustrelitz gefahren, doch ein Virus legte uns quasi an die Kette. Auch in Priepert waren wir bis auf ein weiteres Charterboot die einzigen Gäste und der uns sehr verbundene Hafenbetreiber Horst Krogmann ein perfekter Gastgeber. Lieber Horst, diesen Abend werden wir nie vergessen!
Donnerstag, 29. Oktober, Yachthafen Priepert
Nachdem wir wieder bei schönstem Wetter abgelegt haben, gesellt sich hinter dem Ellbogensee ein weiteres Boot zu uns und wir passieren gemeinsam und ohne Verzögerungen zuerst die Schleuse Strasen, während wir danach in Canow vom gestern noch freundlichen Schleusenwärter aufgehalten werden. Angeblich dürfe er ab heute nur noch alle zwei Stunden schleusen, da Wasser gespart werden müsste, im Spätherbst! Weit und breit kein Mensch auf dem Wasser, aber es muss Wasser gespart werden. Wir quittieren es mit lauter Empörung, wohl wissend, dass wir dem Mann ausgeliefert sind. Unsere Nachbarn möchten noch über die Schleuse Mirow bis nach Buchholz, während wir nur bis Mirow und nicht durch die dortige Schleuse wollen. Solche Zwischenfälle können einem den Zeitplan vermasseln. Wie auch immer, gegen 12.00 Uhr öffnet sich die Schleuse und weiter geht’s über Diemitz bis nach Mirow, wo wir im Hafen 1 vom Bootservice Rick & Rick an der Schlossinsel übernachten wollen. Als wir dort nach telefonischer Verabredung und Ankündigung eintreffen, beginnt es zu regnen und das Wetter wird unwirtlich. Dafür haben wir die ganze Längsseite eines Steges für uns allein. Die beiden Häfen von Rick & Rick sind unbedingt eine Empfehlung wert und der Service lässt keine Wünsche offen. Schloss Mirow, das Drei-Königinnen-Palais und die zauberhafte Liebesinsel haben gerade im Herbst einen ganz besonderen Reiz. Im „Unteren Schloss“ wurde 1744 Prinzessin Charlotte von Mecklenburg-Strelitz geboren, die als Siebzehnjährige 1761 mit dem König Georg III. von Großbritannien vermählt wurde und insgesamt 15 Kinder gebar. So ging Mirow als der Geburtsort einer englischen Königin in die Geschichte ein, die man heute im Schlossmuseum studieren kann. Nach der Wende wurde das gesamte Ensemble der romantischen Schlossinsel restauriert und man sollte sich einen Besuch nicht entgehen lassen. Interessant ist auch die darauf befindliche Johanniterkirche, von deren Turm sich ein herrlicher Blick bietet. Zur gemütlichen Einkehr empfiehlt sich das Restaurant-Hotel „Alte Schlossbrauerei“ mit seinen urigen Gewölben. Wir lassen den Abend gemütlich auf dem Boot ausklingen, denn es regnet.
Freitag, 30. Oktober, Hafen Rick & Rick, Schlossinsel Mirow
Keine zehn Minuten, nachdem wir von der Insel abgelegt haben, stehen wir wieder vor der Schleuse Mirow, deren großes Hubtor sich kurz darauf hinter uns schließt. Der Rückweg zur Marina Claassee ist faktisch reine Formsache. Auf der Müritz weht ein schwaches Lüftchen und die voraus liegende Wasserfläche ist schon beeindruckend. Wir legen genau dort an, wo wir abgelegt haben und beginnen ohne Hast bei vereinzelt leichtem Nieselregen das Boot auszuräumen. Und wieder sind wir uns einig: Eine Tour im Herbst hat ihren eigenen Reiz.