REPORT Venedig mit dem Trailerboot
Wenn die Gondeln Außenbordmotoren tragen …
Venedig! Allein der Name der berühmten Lagunenstadt im Norden der Adria weckt Sehnsucht nach Gondel-Romantik auf engen Kanälen und venezianischem Flair. Kann man Venedig, die Stadt Casanovas, auf eigenem Kiel erkunden? Wir besuchten Venedig mit einem Trailerboot.
Venedig gehört zu den am meisten besuchten Städten der Welt. Immer wenn der Name Venedig fällt, entstehen sofort bestimmte Bilder im Kopf. Auch wenn man noch nie dagewesen ist, verbindet man Begriffe wie Canal Grande, Rialto-Brücke, Dogenpalast, Casanova und Markusplatz mit der berühmten Lagunenstadt, einem Sehnsuchtsort. Mit einer Fläche von 5,2 km2 ist die von etwa 59.000 Menschen bewohnte Hauptinsel der Altstadt (Centro Storico) nur ein kleiner Teil der 414 km2 großen Gesamtfläche Venedigs, wobei fast 257 km2 auf Wasserflächen entfallen. In der sich über 50 km Länge erstreckenden Lagune zwischen den Mündungen der Flüsse Etsch im Süden und Piave im Norden befinden sich 118 Inseln. Die Lagune wird von 60 km langen Sandbänken zur Adria abgegrenzt. Nur drei Prozent der insgesamt 550 km2 großen Lagunenfläche ist mit Inseln bedeckt, der Rest besteht aus Watt- und Marschland und Fischfanggünden. Wer Venedig aus dem Flugzeug betrachtet, der schaut auf eine Wasserfläche, die, was die sichtbaren Untiefen betrifft, den Boddengewässern vor Rügen nicht ganz unähnlich ist. Für Paddler und motorisierte Wassersportler ist die Lagune von Venedig ein Eldorado, in dem man einige Besonderheiten beachten muss – doch dazu kommen wir später.
Anlass unser Reise war zunächst die profane Auslieferung eines Neubootes durch die Werderaner Firma Bootscenter B1 an einen Kunden in Venedig. Schon im Sommer 2017 bahnte sich der Deal an, und B1-Chef Frank Schaper fragte mich, ob ich ihn auf dieser Tour begleiten würde. Mit dem Auto nach Venedig und obendrein noch einen Trailer hinten dran? Mir graute schon bei dem Gedanken an die lange Autofahrt, aber irgendwie reizte mich die Sache doch. Wir beide waren uns einig, mit dem Boot auf jeden Fall ein paar Runden in der Lagune zu drehen und die Möglichkeit zu einer Canal-Grande-Durchfahrt auszuloten. Unbedarft und ziemlich blauäugig gingen wir das Vorhaben an und brachen an einem Donnerstag im Oktober frühmorgens gegen 6:00 Uhr mit einem Wohnmobil samt Trailer von Werder an der Havel nach Venedig auf. Entgegen meiner Befürchtungen kamen wir auf der Autobahn A9 in Richtung München zügig voran und auch der Abschnitt auf der A8 über Kufstein und Innsbruck zum Brenner war kein Problem. Bereits zur Mittagszeit erreichten wir die Brennerautobahn und einen klitzekleinen Stau. Unmittelbar hinter dem Brenner gab es die erste Überraschung. Von hinten herannahendes Blaulicht zwang uns noch vor der Ausfahrt an der südlichen Mautstation des Brenner am Kilometer 15 der A22 im italienischen Sterzing auf den Standstreifen. Stopp, Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte! Doch an der in Folie verpackten Fracht auf dem Trailer zeigten die BMW-Carabinieri kein Interesse. Ihnen war ein Überholvorgang unseres Gespanns auf der Brennerautobahn ein Dorn im Auge, denn Gespanne dürfen dort nur 80 km/h schnell sein und nicht überholen – uups! Nach der Zahlung eines Bußgeldes von 50 Euro und fast 30 Minuten Zwangsaufenthalt durften wir die Fahrt ohne weitere Fragen fortsetzen – Arrivederci. Die weiteren 330 Kilometer über Bozen, vorbei am futuristischen Firmensitz des Bergsportausrüsters Salewa, den Gardasee rechts und Verona auf der E70 links liegen lassend, erreichten wir bei Einbruch der Dunkelheit und nach fast 13 Stunden Fahrt unser Ziel, den Campingplatz Fusina im Westen Venedigs
Weckt die Anfahrt zum „Camping Fusina“ durch ein Industriegebiet zunächst gemischte Gefühle, so wird man spätestens am Empfang der Anlage wieder versöhnt. Das weitläufige Areal mit mediterranem Bewuchs liegt direkt an der Lagune, das Klima ist mild und warm. Vor der Rezeption wartet schon Franks Kunde Piet mit seiner Partnerin Anna auf uns. Die beiden sind mit ihrem Boot von der Marina Certosa, die sich unweit der Altstadt Venedigs befindet, herübergekommen. Noch am Abend soll es in ein beliebtes Lagunen-Restaurant gehen. Wir stellen das Gespann ab, ich beziehe einen kleinen Bungalow und Frank gibt sich mit seinem komfortablen Wohnmobil zufrieden. Es ist 19:30 Uhr, als wir mit Piets betagtem 19-Fuß-Konsolenboot den Sportboothafen Fusina in Richtung Venedig verlassen und nun bei völliger Dunkelheit durch ein für uns bisher gänzlich unbekanntes Seegebiet schippern. In der Ferne sieht man die Lichter von Venedigs Altstadt, rechts und links markieren dreifüßige Holzdalben, sogenannte Briccole, das Fahrwasser. Mit der Navionics-App kann ich die Strecke auf meinem Smartphone verfolgen und mache einen Screenshot. Je näher wir per Boot und im Schein der Nacht der berühmten Silhouette Venedigs kommen, desto größer werden unsere Augen – und der Körper schüttet Glückshormone aus. Nach einer Fahrtzeit von genau 25 Minuten und einer Strecke von nur zweieinhalb Seemeilen machen wir am Gästesteg des Restaurants Al Storico da Crea auf der Isola di Giudecca fest. Der Anleger ist von kleinen Werften umgeben. Bei delikatem Seafood und leckerem Wein schmieden wir Pläne für den nächsten Tag, an dem Piet natürlich auch sein neues Boot ausgehändigt werden soll. Können wir durch den Canal Grande fahren? Als uns ein Wassertaxi gegen Mitternacht wieder ins Camp zurückbringt, fühlen wir uns für diesen Moment als die glücklichsten Brandenburger der Welt.
Der Freitagmorgen bringt Sonne und damit sofort gute Laune. Nach dem Frühstück mit Kaffee, Baguettes und Croissants in der als Frühstücksraum fungierenden Campingplatz-Pizzeria kann es Frank kaum erwarten, sein pechschwarzes Schätzchen ins Wasser zu bringen. Nach deutschen Normen müsste man der Anlage und dem kleinen Hafen ganze fünf Sterne verleihen und so ist es selbstverständlich, dass Boote jederzeit gekrant werden können. Je nach Bootslänge betragen die Preise für das Einholen und Ausbooten pro Arbeitsgang zwischen 30 und 525 Euro. Boote mit bis zu 6,00 m Länge sind mit 65 Euro dabei. Kaum ist die schmucke „Venezia 5“, ein modifiziertes und individuelles Einzelstück auf der Basis einer „St. Tropez 5“ von B1-Yachts im Wasser, beginnt Frank auch schon, das nur 4,92 m lange und mit einem 100-PS-Honda motorisierte Schmuckstück für die spätere Übergabe vorzubereiten. Gegen 10.00 Uhr setzen wir am Heck die italienische Flagge und fahren über den Canale di Fusina gemütlich zur in Sichtweite liegenden Lagunenstadt, lassen das riesige Terminal der Kreuzfahrtschiffe backbords liegen und biegen steuerbords in das brodelnde Fahrwasser des viel befahrenen und auch von den Kreuzfahrtschiffen frequentierten Canale de Giudecca ein. Hier überrascht uns heftiges Kabbelwasser mit gut einen Meter hohen Wellen. Unzählige kleine Boote, Schaluppen, Barkassen, Wassertaxis, Wasserbusse und Gondeln sorgen für allerlei Hektik. Und was macht unsere „Venezia 5“? Trotz seiner vergleichsweise geringen Länge geht das Boot erstaunlich souverän durchs Wasser, steckt Querwellen locker weg und taucht nie mit dem Bug ein. Vorbei am mondänen Hilton-Molino-Stucky-Venice, einem rot geklinkerten ehemaligen Industriebau, in dessen luxuriöser Tower-Suite schon eine bekannte und schrecklich-glamouröse RTL2-Familie nächtigte, steuern wir nun mit geradem Kurs unseren Treffpunkt im kleinen Hafen Faro San Giorgio Maggiore an, der unterhalb der Kirche San Giorgio Maggiore und gegenüber des Markusplatzes liegt. Mit Begeisterung nimmt der Wahl-Venezianer Piet sein neues Boot in Empfang, an dem in silberfarbenen Lettern der Modellname „Venezia 5“ prangt. Zusammen mit Partnerin Anna steigt er in den B1-Flitzer um, während Frank und ich mit seinem alten Hobel vorlieb nehmen. Dabei fällt mir auf, dass an diesem Boot eine LV-Nummer prangt …
Ohne viel Federlesens legen wir wieder ab und steuern auf den Markusplatz zu. Ehrfürchtig und ergriffen genießen wir den Anblick des Dogenpalastes, aus dessen Bleikammern unter dem Dach der amouröse Abenteurer Giacomo Casanova 15 Monate als politischer Häftling einsaß, bevor ihm am 31. Oktober 1756 seine spektakuläre Flucht gelang. Vorbei am Markusplatz folgen wir unserem Guide Piet und steuern zunächst den etwa vier Kilometer langen, 30 bis 70 m breiten und fünf Meter tiefen Canal Grande an, der die sogenannten „Diesseits“- und „Jenseits“-Stadtteile der Altstadt voneinander trennt und dessen berühmtestes Wahrzeichen die Rialto-Brücke ist. Schon auf dem Kabbelwasser des Canal Giudecca wird Venedigs großes Problem sichtbar – der enorme Verkehr an Wasserfahrzeugen aller Art und die Invasion riesiger Kreuzfahrtschiffe in die sensible Lagune. Hinzu kommen die alljährlichen Hochwasser der Adria, die nicht nur den Markusplatz regelmäßig unter Wasser setzen. Erhascht man einen flüchtigen Einblick in die kleinen Kanäle, fällt sofort auf, dass die Grundmauern der auf Pfählen stehenden Häuser und Paläste buchstäblich vom Wasser zerfressen und aufgelöst werden. Venedig könnte eines Tages im Meer versinken. In der Hochsaison kreuzen täglich über 3.000 Wasserfahrzeuge durch den Canal Grande und verursachen ein regelrechtes Verkehrschaos. Neben 435 lizenzierten Gondeln, 250 Wassertaxis und 60 öffentlichen Wasserbussen (Vaporettos) sind darüber hinaus Motorboote und Schaluppen von Müllabfuhr, Post, Krankentransporten, Feuerwehr, Händlern- und Transportschiffen im historischen Zentrum unterwegs, wo ihre Wellen auch in tiefere Hauseingänge schwappen. Nach einem tödlichen Unfall im August 2013 in der Nähe der Rialto-Brücke zog die Stadtverwaltung Konsequenzen und setzte selbst für Venezianer und Gondo- lieri oft schier unübersichtliche Befahrensregeln in Kraft. Beim dramatischen Zusammenstoß eines Vaporetto mit einer Gondel kam damals ein 50-jähriger Mann aus Tübingen ums Leben, der mit seiner Familie im Urlaub war. Seitdem ist der gesamte Bootsverkehr im Canal Grande und in der historischen Altstadt streng reglementiert. Als Faustformel für Sportbootfahrer gilt – der Canal Grande und die von ihm abzweigenden kleinen Kanäle dürfen nicht befahren werden! Nachdem wir die Skyline des historischen Venedigs auf dem Canal Giudecca abgefahren und ausgiebig genossen haben, biegen wir im Süden der Basilika San Pietro di Castello in Richtung Marina Venezia zur Insel Certosa ab.
Diese Marina empfiehlt sich nicht nur für Gast- und Dauerlieger, sondern auch als Hotel-Basis für Ausflüge in die Stadt. Die ruhige Insel Certosa, die schon Napoleon als Pulverkammer diente und die bis in die 1960er-Jahre militärisch genutzt wurde, ist ein beliebter Ausflugsort der Einheimischen, die hier Abseits der Touristenströme gerne im Restaurant des Venice Certosa Hotels bei Pasta, Thunfisch-Tartar, Gambas und Wein zusammenkommen. In der Marina, die auch einen ADAC-Wasserwanderstützpunkt beherbergt, treffen wir den honorigen Geschäftsführer Alberto Sonino, den „Venezianer des Jahres 2010“. Der Manager des America`s Cup in Venedig möchte der einst verlassenen Insel Certosa neues Leben einhauchen und in einen Park für die Venezianer und die Touristen aus aller Welt verwandeln. Bis heute ist ihm das zusammen mit Partnern schon recht gut gelungen und der Besuch der Insel, die entweder auf eigenem Kiel, per Wasserbus oder Wassertaxi zu erreichen ist, können wir wärmstens empfehlen. Wassersportler finden in der Marina Certosa ein breites Angebot an Dienstleistungen. Neben Liegeplätzen, Yacht-Lagerung in Hallen oder im Freien, Werftarbeiten, Hotel, Restaurant, Bar und Wäschedienst, kann man hier auch die vorab erwähnte und für das Befahren der Lagune notwendige LV-Bootsnummer bekommen.
Nach dem Essen starten wir mit der schmucken „Venezia 5“ in einer Herrenrunde in die weitläufige Lagune. Vorbei an unbewohnten Landwirtschaftsinseln und verschwiegenen Badestellen der Venezianer sowie entlang der Insel Sant‘ Erasmo, besuchen wir zuerst die durch ihre Spitzenstickerei bekannt gewordene Insel Burano, deren üppige Farbenpracht in Gestalt bunt bemalter Häuser seit jeher Maler und Fotografen magisch anzieht. Der schiefe Glockenturm (Campanile) der Kirche San Martino ist weithin sichtbar und sieht aus, als würde er jeden Moment umkippen. Nach Burano machen wir einen Abstecher zur nördlich liegenden l’isola di Torcello, wo das kleine Hotelrestaurant „Locanda Cipriani“ schon berühmte Gäste wie Lady Di, König Juan Carlos von Spanien oder Elton John empfing und als einer der Lieblingsorte von Ernest Hemingway galt. Auf dem Rückweg bietet sich ein Zwischenstopp an einem neben dem Fahrwasser liegenden Franziskaner-Kloster an. Leider droht das Wetter umzuschlagen, am Horizont ziehen dunkle Wolken auf und deshalb verschieben wir den Besuch der Glasbläserinsel Murano auf den nächsten Tag. Wir verabschieden uns und fahren mit der „Venezia 5“ über den Canale de Giudecca vorbei am Markusplatz wieder zurück nach Fusina. Die Wasserwege sind uns mittlerweile geläufig und es ist plötzlich so, als sei ein Bootstrip nach Venedig mit dem Trailerboot die normalste Sache der Welt – man muss es eben nur machen! Den Abend verbringen wir in der gemütlichen Pizzeria des Campingplatzes, wo wir schon dem nächsten Tag entgegenfiebern.
Der Samstag zeigt sich von einer noch sonnigeren Seite, und wieder schippern wir voller Enthusiasmus zu unserem Treffpunkt, dem kleinen Hafen San Giorgio Maggiore am Markusplatz. Wir nehmen mit zwei Booten Kurs auf die Glaskunststadt-Murano und kürzen über den Kanal am Biennale-Park und der Basilika San Pietro di Castello ab. Auf Murano angekommen, können wir die Boote gegenüber der Kirche Santa Maria e San Donato festmachen und schlendern über die Kanalbrücke Ponte San Donato in eine Kaffeebar. Das Gedränge auf Murano ist weitaus größer als auf Burano und es gibt in dem bezaubernd-idyllischen Lagunenstädtchen allerhand sehenswerte Dinge. Wir absolvieren einen Rundkurs, der uns – vorbei an vielen Läden für Glaskunst – auch mitten durch die pittoreske Kulisse führt. Südlich von Murano liegt auf einer kleinen Insel der Friedhof San Michele, auf dem sich das Grab des Komponisten Igor Stravinsky befindet. Zurück auf Certosa nehmen wir Abschied von Piet und Anna, die nun die „Venezia 5“ endgültig in Besitz nehmen. In Piets ausgemusterten Boot genießen wir die Rückfahrt vorbei an der Silhouette Venedigs und lassen uns dafür bei strahlendem Sonnenschein und warmen Wetter reichlich Zeit. Nachmittags erreichen wir den Hafen vom Campingplatz Fusina, wo Frank das Boot sofort auf den Trailer bringen kann. An dieser Stelle muss man den perfekten Service in Fusina noch einmal hervorheben, besser geht es kaum. Ausgeschlafen und entspannt treten wir am Sonntagmorgen nach dem Frühstück die Heimreise an. Ohne Staus und mit nur zwei kleinen Pausen kommen wir nach 12 Stunden Fahrt wieder in der heimischen Inselstadt Werder an. Nach diesem Trip sind wir uns einig, dass auch für Skipper aus dem Norden der Republik Wochenendausflüge nach Venedig mit dem Trailerboot machbar sind – man muss es eben nur machen!