TEST KARNIC SL 800
Rauwasser-Cruiser aus Zypern
Die Karnic SL 800 der auf Zypern beheimateten Karnic-Werft ist ein handfester Rauwasser-Cruiser. Wir waren mit der Karnic SL 800 vor dem Mittelmeerhafen Limassol unterwegs…
Als der Ingenieur Nicos M. Karaolis (58) im Jahr 1993 in seiner Heimatstadt Limassol eine Werft gründete, nannte er sie angelehnt an seinen Namen „Karnic“. Der junge Unternehmer hatte in Großbritannien studiert und zugleich eine Vision. Er wollte praxisgerechte Boote mit leistungsstarken Rümpfen bis zu 30 Fuß und unverwechselbarem Design in hoher Verarbeitungsqualität herstellen. Zunächst produzierte man kleine Kunststoff-Modelle für lokale Käufer, bevor 1998 mit dem Bootsexport begonnen werden konnte. Karnic investierte und errichtete neue Betriebsstätten im Nordwesten von Limassol. In 2008 kam der erste Kabinenkreuzer auf den Markt. Die internationale Bootsbaukrise um 2009 überlebte die kleine Werft dank Optimismus und einer Marketing-Expansion. Heute verfügt Karnic über computergestützte Fertigungs- und CAD-CAM-Technologien sowie ein engagiertes Team von 45 Mitarbeitern. Pro Jahr werden etwa 180 Boote in Längen zwischen 4,90 und 9,20 m auf Kiel gelegt. Die von uns getestete Karnic SL 800 debütierte bereits im Frühjahr 2018, bisher wurden 18 Stück gebaut. Sie ist das größte Boot der momentan sechs Modelle umfassenden SL-Baureihe. Es sei angemerkt, dass alle Karnic-Modelle im Mittelmeer ausgiebig unter realen Bedingungen getestet werden und robust-sichere Rauwassereigenschaften gefordert sind.
Interessante Details machen bereits am Steg auf die Karnic SL 800 neugierig und wollen nach dem Zutritt über die Badeplattform mit Heckdurchgang ins Cockpit erforscht werden. Schon auf den ersten Blick erscheint das selbstlenzende Cockpit überaus großzügig bemessen und es fallen die breite Hecksitzbank sowie die Konsole mit dem Skippersitz ins Auge. Beide Elemente haben es in sich und entpuppen sich als multifunktionale Ausstattungssegmente. Beginnen wir mit der Garnitur der Hecksitzbank, die sich innerhalb des 230 x 200 cm großen Achtercockpits um 45 cm verschieben und umklappen lässt, wodurch die Sitzbank mit achterlichem Blick zum Heck geöffnet wird. Als durchdacht erweisen sich weitere Klappmechanismen der modularen Hecksitzbank, die damit zur Sonnenliege, zur Bedarfskoje oder zur Sitzgarnitur um eine 96 x 63 cm breite Dinette verwandelt werden kann. Die Dinette wiederum kann mittels zweier verschiedener Standortpositionen je nach Bedarf im Längs- oder Querformat genutzt werden. Dass sich unter der Sitzbank leicht zugängliche Staufächer befinden, sei hier ebenfalls erwähnt. Mit einer überraschend hohen inneren Freibordhöhe von 92 cm empfiehlt sich das Cockpit als sicherer Aufenthaltsort für Familien mit Kindern. Zwei beidseitig in die Bordwände eingelassene und je 105 cm lange Seitenfächer können hierbei Spielzeug, Angelsachen oder anderes Bordequipment aufnehmen.
Die 120 cm breite Mittelkonsole mit zwei gut gepolsterten Einzelsitzen für Skipper und Beifahrer lässt sich zur Plicht hin öffnen und beherbergt die Bordküche mit einem einflammigen Gasherd. Unter dem Küchenteil ist der Abstellplatz für eine große Kühlbox vorgesehen. Unser Abstecher zum Vordeck führt backbords über ein 23 cm breites Gangbord und die dortige Sonnenliege, für die auch ein Bimini-Verdeck geordert werden kann. Ein 20 cm hoher Absatz trennt die Plicht vom mittleren Cockpitbereich mit Steuerstand und Zugang zur Kabinensektion. Bereits hier sei angemerkt, dass es im gesamten Cockpit der Karnic SL 800 keine Ecken und Kanten gibt, an denen man sich stoßen könnte. Vor dem in den Decksaufbau integrierten und asymmetrisch nach steuerbords ausgerichteten Steuerstand befinden sich die bereits erwähnten Einzelsitze, die wie alle anderen Ausrüstungsgegenstände in Handarbeit von Karnic selbst gefertigt werden. Eine von einem robusten Edelstahlrahmen eingefasste 70 cm hohe Acrylglas-Scheibe weist Fahrtwind ab. Der Steuerstand bietet Platz für alle notwendigen Instrumente und ein bis zu 12 Zoll großes Multifunktionsdisplay. Die Ablesbarkeit der analog-digitalen Mercury-Motoranzeigen erwies sich je nach Lichteinfall jedoch als schwierig. Des Skippers Sitzposition und Übersicht sind wiederum hervorragend und das Karnic-Steuerrad lässt sich individuell verstellen.
Wer im Blauwasser und in sonnigen Gefilden unterwegs ist, der sollte keinesfalls auf eine Überdachung in Gestalt des optionalen Bimini- oder Hardtops verzichten. Da auch sämtliche Verdecke im Hause Karnic gefertig werden, kann für eine absolute Passgenauigkeit garantiert werden. Ein kleiner Gag, den Karnic-Chef Nick mit Stolz präsentiert, ist eine backbords neben dem Zutritt zur Kabine herausnehmbare und polierte GFK-Henkeltasche, in der Papiere, kleine Getränke und persönliche Dinge transportiert werden können.
Eine weitere Überraschung ist die etwa 230 x 220 cm große Kabine, die bei einer Stehhöhe von bis zu 185 cm ebenfalls variabel als Ess- oder Schlafzimmer gestaltet werden kann. Das Walnuss-Interieur und der penible Ausbau des Wohnbereiches gefallen auf Anhieb. Hier wirkt nichts billig und „zusammengeschustert“, hier wurde nicht gekleckert sondern geklotzt. Akkurate Nähte, hochwertige Verkleidungen wie Leder-Applikationen und passgenaue Einbauten sorgen für Erstaunen. Mit einer Stehhöhe von 170 cm zeigt sich die Nasszelle mit Corian-Waschbecken, Marine-WC und Dusche sehr geräumig und bietet daher ungewöhnlich viel Bewegungsfreiheit. Der zweistufige Niedergang in die Kabine der Karnic SL 800 schwächelt allerdings mit einem kleinen Manko. Um einen guten Zugang zur luftig bemessenen Unterflurkabine zu ermöglichen, sind die Trittstufen etwas zu eckig und klein geraten. Hier stellt die Werft Abhilfe und eine optimale Lösung in Aussicht. Alles in allem zeigt sich die Kabine als durchaus wochenendtauglicher Wohlfühl-Unterschlupf.
Jetzt sind wir auf die Fahreigenschaften der nach der CE-Norm C zertifizierten Karnic SL 800 gespannt. Hierzu sei angemerkt, dass sich das Testboot bereits in Eignerhand befindet und vom selbigen motorisiert und individuell ausgestattet wurde. Daher veranschlagen wir das Gesamtgewicht des mit einer 2 x 225 PS-Mercury-Doppelmotorisierung versehenen Testbootes mit ca. 3.700 Kg. Es sei weiterhin erwähnt, dass der robuste und äußerst steife Karnic- Rumpf einen erhöhten Materialaufwand mit stabilen Stringern erfordert.
Bei schönstem Wetter verlassen wir die Marina Limassol und erreichen bei 1.500 min-1 das hierzulande relevante Kanalfahrt-Tempo von 6,6 kn. Die Gleitfahrt wird bei etwa 3200 min-1 und damit verbundenen 17,5 Knoten erreicht. Dann geht es zügig weiter, wobei die Höchstgeschwindigkeit unseres Testbootes von 39,5 kn schon bei maximalen 5.200 min-1 anliegt. Hier besteht also Abstimmungsbedarf, denn die Maschinen könnten durchaus bis zu 6.000 min-1 drehen. Laut Werft sind bei optimaler Trimm- und Propellerabstimmung knappe 42 Knoten möglich, wobei diese wiederum vom Bootsgewicht abhängig sind. Als kleiner Wermutstropfen ist die Tatsache anzusehen, dass unser Testboot die 450 PS am Heck durchaus nötig hat, um sportlich voranzukommen. Für einen ordentlichen Vortrieb scheint deshalb eine kräftige Doppelmotorisierung unausweichlich. Hieraus resultiert auch das bevorzugte und ideale Einsatzgebiet des Daycruisers, das an der Küste und auf großen offenen Wasserflächen anzusiedeln ist. Die Laufeigenschaften der Karnic SL 800 darf man als stabil, sicher und sportlich bezeichnen. Enge Kurven legen das Boot nicht grenzwertig auf die Seite und auch bei schnellen Kurswechseln bleibt man in der gewünschten Spur. Wellenkämme steckt die SL 800 sanft und ohne hartes Schlagen weg. Hier zeigt sich die Klasse des hervorragend stabilen V-Rumpfes.
Komfort, Laufeigenschaften und Verarbeitungsqualität der Karnic SL 800 überzeugen. Insbesondere ist der ausgeklügelte Kompromiss zwischen Angel- und Familienboot gelungen. Unserer Testkandidatin muss daher keine Vergleiche scheuen und hat das Zeug zum Verkaufshit. Der Einstiegspreis von 71.086 Euro scheint solide angelegt. Kommt dann noch eine Doppelmotorisierung hinzu, kratzt das Boot an der 200.000-Euro-Grenze.